Regierungskrise in Österreich: Klientelpolitik im großen Stil

Herbert Kickl arbeitete im Asyl- und Fremdenrecht den Wunschzettel der FPÖ ab. Was hinterlässt die geplatzte Rechtsregierung?

Herbert Kickl schaut bedrückt

Hoffentlich bald Schluss mit lustig: Noch-Innenminister Herbert Kickl Foto: reuters

WIEN taz | Symbolpolitik und Klientelpolitik, so kann man die Bilanz der eben geplatzten Rechtsregierung zusammenfassen. Die strengsten Duftmarken setzte dabei neben Kanzler Sebastian Kurz Innenminister Herbert Kickl, der vor allem im Asyl- und Fremdenrecht den alten Wunschzettel der FPÖ Schritt für Schritt abarbeitete.

Dass die Aufnahmezentren für Flüchtlinge seit einigen Wochen offiziell in „Ausreisezentren“ umgetauft wurden, enthüllt den Geist, der all diese Reformen durchweht. Asylsuchende sollen möglichst schnell wieder außer Landes geschafft werden. Der wichtigste Schritt dafür ist erst vor wenigen Tagen im Nationalrat abgesegnet worden: die Verstaatlichung der Flüchtlingsbetreuung.

Caritas, Diakonie und andere Hilfswerke, die sich im Auftrag der Republik um Asylsuchende kümmerten und auch Beratungsarbeit bei den Asylverfahren leisteten, werden ausgebootet. Zu oft hatten Berufungen gegen negative Bescheide der Erstinstanz zu anderen Entscheidungen in der zweiten Instanz geführt. Daran waren für Kickl nicht die schlampigen oder tendenziösen Verfahren schuld, sondern die Tricks der Asylanwälte. Wenn sich das Innenministerium selbst um die Rechtsberatung kümmert, soll das anders werden.

Derselbe Geist steckt hinter der Reform der Mindestsicherung, die jetzt wieder den stigmatisierenden Namen Sozialhilfe trägt und bei Ausländern an die Sprachkenntnisse geknüpft wird. Gelder für Sprachkurse und andere Integrationsmaßnahmen wurden gleichzeitig gekürzt.

1,50 Euro Stundenlohn für kommunale Arbeiten

Für kommunale Arbeiten, die Asylsuchende leisten dürfen, sollen sie künftig nur mehr 1,50 Euro Stundenlohn bekommen. Fünf Euro waren in den meisten Gemeinden üblich. Auch europäische Arbeitskräfte bekommen die neue Politik zu spüren, vor allem Frauen, die ihre Kinder zu Hause lassen müssen. Sie bekommen Familienbeihilfe nicht mehr auf österreichischem Niveau ausbezahlt, sondern nach dem Lohnniveau im Heimatland.

In Österreich wird das Zerwürfnis zwischen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ immer tiefer. Im Zusammenhang mit der Video-Affäre plant Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Entlassung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. „Ich gehe davon aus, dass der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten auch vorschlagen wird, den Innenminister aus der Regierungsverantwortung zu entlassen“, sagte Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) am Sonntagabend in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“. Blümel begründete dies mit der Notwendigkeit, nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen. Die FPÖ wiederum hat angedroht, dass im Fall einer Entlassung Kickls alle ihre Regierungsmitglieder das Kabinett verlassen würden. (dpa)

Für die meisten bedeutet das eine empfindliche Einbuße. All das wird unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit“ verkauft und kommt bei einem Großteil der Anhänger von FPÖ und ÖVP gut an. Sie finden es auch gut, dass man auf der Autobahn bald 140 statt 130 Km/h fahren und in den Lokalen rauchen darf. Die berittene Polizei, die Kickl aufbauen will, bedient die gleiche Klientel. Ebenso das Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen.

Während die FPÖ in den Sicherheitsressorts weitgehend freie Hand hatte, kümmerte sich die ÖVP um die Wünsche der Unternehmer, von denen viele die Dividende für ihre Wahlkampfspenden an Sebastian Kurz einforderten.

Da ist vor allem die Arbeitszeitreform, eines der ersten Projekte der Regierung, das vor einem Jahr entrüstete Proteste der Gewerkschaften provozierte. Arbeitnehmer können danach von ihren Chefs bis zu zwölf Stunden täglich und 60 Stunden die Woche eingesetzt werden. Die Überstunden dürfen dann nach Gutdünken des Managements kompensiert werden.

Umfärbeaktion, die Geld kosten wird

Die Ende April verkündete Steuerreform enthält für die Unternehmer die seit Jahren geforderte Absenkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 21 Prozent. Die versprochene Abschaffung der kalten Progression, die vor allem die unselbständig Beschäftigten schröpft, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Das von den Sozialdemokraten initiierte Beschäftigungsprogramm Aktion 20.000, das Arbeitslose über 50 Jahre wieder in Lohn und Arbeit bringen sollte, wurde ohne Evaluierung gestoppt.

Die groß beworbene Umstrukturierung der Sozialversicherung, die aus 21 Kassen nur mehr fünf macht und laut Sozialministerin Beate Hartinger-Klein eine Milliarde Euro einsparen soll, ist nach Einschätzung von Experten in erster Linie eine Umfärbeaktion, die außerdem Geld kosten wird. SPÖ-nahe Funktionäre werden durch Regierungsleute ersetzt, die Arbeitnehmervertreter durch Wirtschaftsbund-Repräsentanten.

Der Familienbonus, der kinderreiche Familien entlastet, bringt vor allem den Besserverdienenden etwas. Die letzte Tat der Regierung – offenbar gedacht als Entscheidungshilfe vor den Europawahlen – war die Ankündigung, die Mindestrente für 40 Beitragsjahre von 995 auf 1.200 Euro anzuheben. Ob das allerdings noch Gesetz wird, ist angesichts der neuen Lage unsicher.

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