Kommentar zur SPD-Grundrente: Richtige Idee, falscher Zeitpunkt

Der Entwurf von Hubertus Heil für eine Grundrente ist gut und richtig. Im Grundsatz. Es gibt da allerdings ein paar Ungereimtheiten.

Eine ältere Frau mit weißem Haar und rosa Shirt guckt durch einen Fotoapparat

Schön wär's, wenn Frauen auch im Alter noch was zu gucken hätten Foto: Unsplash/Tiago Muraro

Derzeit lebt ein Fünftel der RentnerInnen von weniger als tausend Euro. Das Risiko im Alter zu verarmen, wird steigen. Das Rentenniveau ist ja seit fast zwanzig Jahren gezielt abgesenkt worden und zudem arbeiten, vor allem im Osten, Millionen in mies bezahlten Jobs und haben daher wenig Aussicht auf eine Rente über der Grundsicherung.

Deshalb ist die Grundrente, die die SPD offenbar auf Biegen und Brechen will, richtig, ja notwendig. Sie soll dafür sorgen, dass, wer 35 Jahre gearbeitet, aber sehr wenig verdient hat, ein wenig mehr bekommt. Drei Millionen sollen somit etwas mehr Rente erhalten – vier Fünftel davon Frauen. Das leuchtet ad hoc ein. Denn es ist gerecht, dass wer gearbeitet hat, mehr Rente bekommen soll als jene, die nie Rentenbeiträge gezahlt haben. Arbeitsminister Hubertus Heil, der lange wie ein Inbegriff eines stets anpassungsfähigen, wetterwendigen Karrieristen wirkte, verfolgt dieses Projekt mit erstaunlicher Hartnäckigkeit und unbeirrt von mannigfachen Anfeindungen und Schwierigkeiten.

Also hier die SPD, die tapfer für Gerechtigkeit kämpft, dort die Union, die sich taub stellt und die Grundrente als „sozialpolitischen Offenbarungseid“ diffamiert? Es ist etwas komplizierter. Es gibt in Heils Entwurf, so richtig er im Grundsatz ist, ein paar Ungereimtheiten. Die Finanzierung ist „pi mal Daumen“ gerechnet. Und: Warum profitiert nur, wer wenigstens 35 Jahren gearbeitet hat (inklusive anrechenbarer Kindererziehungszeiten), warum geht, wer nur 34 Jahre auf dem Konto hat, völlig leer aus?

Gerade in der digitalen Ökonomie werden die Arbeitsbiographien noch mehr ausfransen und die Abweichungen von der Norm zur neuen Norm werden. Mit der starren Fixierung auf 35 Jahre entsteht eine Unwucht, die sich durch eine flexible Lösung leicht vermeiden ließe.

Bedenklich am Unseriösen entlangeschliddert

Ein anderer heikler Punkt ist – auch wer erbt oder reich geheiratet hat, wird mit der zarten Rentenaufstockung beglückt. Das ist nicht gerecht. Der lässige Hinweis der SPD, Vermögende, die die Grundrente bekommen, müssten ja auch mehr Steuern zahlen, streift bedenklich das Unseriöse. Praktisch aber hat Heil Recht. Wer die Grundrente will, muss diese Unwucht in Kauf nehmen. Denn um die übersichtliche Zahl unverdienter Grundrenten-Profiteure herauszufiltern, müsste man maßlosen bürokratischen Aufwand betreiben.

Bedenklich ist schließlich das Timing des Gesetzentwurfes direkt vor der Wahl in der EU und in Bremen. Damit erweckt die SPD den Eindruck, auf billige Effekte zu zielen. Das ist falsch kalkuliert. Schon der Verdacht, Wahlkampfmanöver zu inszenieren, wirkt heutzutage schnell toxisch.

Kurzum: Die Grundrente ist nicht perfekt, aber längst nicht so übel wie sie die Union derzeit beredet.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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