Überlegungen zu kultureller Aneignung: Erst der Spott macht's rassistisch

Wenn Weiße Afro tanzen, werden sie oft dafür kritisiert: Das sei Cultural Appropriation. Ist dieses Denken gerechtfertigt?

Eine weiße junge Frau mit pinken Dreadlocks

Gehen Dreadlocks hier klar? Foto: Jasmin Sander

Was genau ist Cultural Appropriation? Der Begriff Cultural Appropriation wurde erstmals in den 1980er Jahren in der Kritik des Postkolonialismus verwendet. Er bezeichnet kulturelle Aneignung, also wenn eine Ethnie oder Kultur kulturelle Einflüsse von anderen ethnischen Gruppen übernimmt. Oft ist hierbei die Rede von weißen Leuten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist, wenn Weiße Dreadlocks tragen. Multikultur wiederum beschreibt das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen in einem Land.

Viele Menschen sind gegen Cultural Appropriation, da es Leute beleidigen könnte. Ich stelle mir aber die Frage, ob das Zusammenleben verschiedener Kulturen ohne kulturelle Aneignung überhaupt möglich ist. Ich heiße Daisy, bin 15 Jahre alt und nehme an der taz U24 teil. Meine Eltern stammen aus Ghana, ich bin in Deutschland geboren. Migration kommt in meinem Umfeld häufig vor, denn ich lebe in Berlin, einer Stadt mit vielen verschiedenen Kulturen.

In meinem Freundeskreis habe ich eine Freundin mit polnischen Wurzeln. Sie tanzt Afro und trägt Braids – das sorgt für viel Diskussion. Ich persönlich freue mich, wenn ich sehe, dass andere Leute sich für die verschiedenen Kulturen Afrikas interessieren und vor allem Spaß daran haben, sie in diesem Fall auf tänzerische Art und Weise auszuleben. Viele meiner Freunde kritisieren sie aber dafür, dass sie versuche schwarz zu sein, die meisten sind jedoch selbst nicht schwarz. Ich habe meiner Freundin daraufhin ein paar Fragen gestellt.

Seit wann tanzt du Afro?

Freundin: Ich tanze Afro seit März letzten Jahres.

Wie ist es dazu gekommen, dass du Afro tanzt?

Freundin: Ich habe mir ein Video, in dem Afro getanzt wird, auf Instagram angeguckt und versucht, es nachzutanzen. Ich hab dadurch auch andere Leute kennengelernt, die das tanzen.

Was magst du daran?

Freundin: Ich mag am Tanzen, dass ich nicht nur eine Sache lerne, sondern verschiedene Techniken – außerdem lernt man sehr viele Leute kennen, die dieselben Interessen teilen.

Was hältst du davon, dass viele Leute sagen, dass du versuchst, schwarz zu sein?

Freundin: Ich spreche jetzt aus Erfahrung: die meisten Menschen, die das zu mir sagen, sind eifersüchtige, schwarze Mädchen. Ich weiß, dass mir Braids stehen und ich dafür nicht schwarz zu sein brauche. Meiner Meinung nach gibt es in Europa einfach nicht so viele interessante Kulturen wie in Afrika. Es ist ja nicht so, dass ich versuche schwarz zu sein. Ich bin stolz, polnische Eltern zu haben, ich bin stolz, dass ich Polnisch kann, ich bin stolz, blaue Augen zu haben – ich bin stolz, so zu sein, wie ich bin.

Was verstehst du unter Multikultur?

Freundin: Dass man seine Kultur mit anderen teilt und akzeptiert, wenn andere deine Kultur leben. Und allgemein, dass man mit allen Kulturen gleich gut lebt. Man muss beim Tanzen nicht dieselbe Sprache sprechen, um sich zu verstehen.

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Ich habe auch eine weitere Freundin von mir gefragt, was sie davon hält, dass eine Nichtschwarze sich bei der afrikanischen Kultur „bedient“. Ich hatte schon oft gehört, dass andere Mädchen fanden, meine Freundin versuche schwarz zu sein. Auf meine Frage, warum, antwortet eine: „An sich habe ich gar nichts dagegen, dass sie die Musik hört. Ich mein – die Musik ist halt geil, die Tänze sind auch geil, aber das Verhalten … Dass sie sich Braids macht. Afrohaare sind ja nicht so leicht zu frisieren, und wenn du Braids hast, ist das halt leichter. Aber sie hat ja glatte Haare.“

Sie schränkt ein, dass sie auch schon Braids getragen hat und sich also selbst auch schon „schwarz gemacht“ habe. „Aber ich hab sie mir selber gemacht, und auch nur, weil ich längere Haare haben wollte und das dadurch erreicht habe. Gut, wenn man es jetzt nicht so krass ernst nimmt, könnte man auch einfach sagen, dass sie die Afro­musik übelst feiert, aber irgendwie kommt es komisch rüber.“

Eine weitere Freundin ergänzt: „Es ist halt einfach mega ungewöhnlich, dass ein weißes Mädchen oder generell eine weiße Person Afro so krass wie sie feiert. Das hatten wir bis jetzt einfach noch nie, deswegen kommt es so rüber.“

An dieser Stelle wäre es erwähnenswert, dass die beiden, die diese Kritik an meiner Freundin üben, selber nicht schwarz sind. Schließlich habe ich einen Bekannten, dessen Eltern ebenfalls aus Ghana kommen, gefragt, was er von der Sache hält.

Er kennt meine Freundin auch und sagt: „Dass sie Afro tanzt, find ich fresh, das sieht man nicht oft, und Braids geht auch klar. Schwarze Frauen glätten ja auch ihre Haare. Solange die nicht ignorant sind, versuchen, diese Kultur und Styles für sich zu beanspruchen, und so tun, als hätte Kim Kardashian Braids erfunden, ist alles cool.“

Ich fragte meinen Bekannten auch, was er unter Multikultur versteht. Er sagt: „Berlin ist multikulturell, finde ich. Viele verschiedene Nationen auf einem Haufen.“

Ich schließe mich seiner Meinung an. Wer in einer Multikultur leben will, muss auch akzeptieren, dass jeder seine Haare so trägt, wie er will, die Musik hört, die er will, und trägt, was er will – egal aus welcher Kultur. Für mich ist Cultural Appropriation erst dann rassistisch, wenn man es aus Spott betreibt, etwa beim Blackfacing.

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