Letztes Heimspiel für Turbine Potsdam: In ihrem eigenen Tempo

Svenja Huth galt schon als ewiges Talent – dann wurde sie bei Turbine Potsdam zum Star. Jetzt wechselt sie zum VfL Wolfsburg. Ein Abschied.

Svenja Huth von Turbine Potsdam sitzt für ein Porträtfoto auf einer Bank

„Ich habe von Anfang an das Vertrauen gespürt“, sagt Svenja Huth über Turbine Potsdam Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

„Die Entscheidung, zu gehen, ist mir nicht leicht gefallen“, sagt Svenja Huth irgendwann im Gespräch, und man glaubt ihr das. Ein warmer Vormittag in Potsdam, zur sportlichen Uhrzeit von acht Uhr morgens hatte Huth heute das erste Training. Jetzt sitzt sie auf einer Parkbank, es ist so ruhig und provinziell hier wie üblicherweise in Potsdam, es scheint sie nicht zu stören. Svenja Huth wirkt trotz ihrer 1,63 Meter im echten Leben größer als auf dem Spielfeld. Sie spricht mit einer Autorität, die der Spitzenfußball vielleicht mit sich bringt, die sie sich aber auch erarbeitet hat.

Am Sonntag wird die Stürmerin und Kapitänin ihr letztes Heimspiel für Potsdam bestreiten. Sie wechselt zu den alten und neuen Meisterinnen vom VfL Wolfsburg – und der Verlust für Turbine ist groß: Huth war in Potsdam beinahe alles, verlässliche Torschützin, Vorlagengeberin, schnell und wendig, kämpferisch, dribbelstark, Lebensader des Offensivspiels. Zum Schluss war die Kapitänin schlicht zu herausragend.

„Natürlich habe ich auch die17:06 Erinnerung aus Frankfurt, wie schön es ist, um Titel mitzuspielen oder zu gewinnen“, sagt Svenja Huth, jetzt im Interview-Modus, ein bisschen routiniert, ein bisschen persönlich. Die sportliche Weiterentwicklung sei ihr wichtig gewesen. Sie hätte auch ins Ausland gehen können, habe aber nicht das Verlangen gehabt. „Vielleicht bin ich da, zumindest Stand jetzt, auch nicht so der Typ für.“ Huth strahlt Bodenständigkeit aus, ist eine, die eher bleibt als geht, die nicht in der Ferne schweift um der Ferne willen. Ihre Karriere verläuft ungewöhnlich heimatnah für die auch im Frauenfußball beginnende globale Zeit.

Im Sommer 2014 kam die damals 24-Jährige zu Turbine, als Spielerin, bei der nicht klar war, ob sie den großen Durchbruch noch schafft. Beim FFC Frankfurt hatte sie sich jahrelang nicht durchsetzen können, und 24 Jahre ist ein Alter, in dem es die meisten entweder geschafft haben oder eben nicht. Huth brauchte ihre Zeit.

Der große Schub

In Potsdam kam plötzlich der große Schub. „Ich habe von Anfang an das Vertrauen gespürt“, erklärt sie heute. Sie traf, sie wurde Kapitänin, Stammspielerin im Nationalteam, seit diesem Jahr ist sie dort auch Vize-Kapitänin. „Ich bin Ansprechpartnerin für die jungen Spielerinnen, aber auch für das Trainerteam, ohne mich in den Vordergrund zu drängen“, so beschreibt sie sich selbst. „Die Spielerinnen wissen, dass ich für sie da bin, auch wenn es vielleicht mal nicht so läuft.“ In Wolfsburg, außerhalb des sicheren Potsdamer Nestes und mit hohem Konkurrenzdruck, wird der Rhythmus anders. Aber es besteht kein Grund, um Huth zu fürchten.

Die Spielerin Svenja Huth wurde 1991 in Alzenau geboren. Mit 14 Jahren wechselte sie in die Jugend des damaligen Spitzenklubs FFC Frankfurt und blieb zehn Jahre im Verein, konnte sich aber in der ersten Mannschaft nicht richtig durchsetzen. 2015 wechselte sie nach Potsdam. Dort gelang ihr der große Durchbruch, sie wurde Kapitänin, Stammspielerin im Nationalteam und dort Vize-Kapitänin. Huth wurde unter anderem Europameisterin 2013, Olympiasiegerin 2016 und Champions League Siegerin 2015 mit Frankfurt. Zur neuen Saison wechselt sie zum VfL Wolfsburg.

Der Verein Turbine Potsdam ist Erstligist in der Frauen-Bundesliga und der einzige Klub aus dem Berliner Raum, der erstklassig Frauenfußball spielt. Der Verein holte unter anderem sechs deutsche Meisterschaften, sechs DDR-Meisterschaften und zwei Europapokalsiege und dominierte lange in der Bundesliga. In den letzten Jahren ist er hinter Wolfsburg und Bayern zurückgefallen; aktuell stehen die Potsdamerinnen zwei Spieltage vor Schluss auf Platz 3. Auch Platz 4 ist noch möglich. (asc)

Die Spielzeit könnte für ihr Team auf Platz 3 enden, vielleicht auch eher Platz 4, denn im Gegensatz zu den Konkurrentinnen aus Essen müssen sie noch in Wolfsburg spielen. Dritte oder Vierte ist das beste Ergebnis, auf das der Klub realistisch hoffen konnte. Auf die Dauer aber ist das natürlich nicht ausreichend, um eine wie Huth zu halten. Die letzten Spiele gegen die Topteams Wolfsburg und Bayern gingen 0:4 und 0:5 verloren, so groß ist mittlerweile die Lücke.

Das Problem der Liga ist schwer zu übersehen. „Es ist schade, dass teilweise den Männerklubs der Frauenfußball nicht so wichtig ist“, sagt Huth. „Strukturen gibt es, aber warum kommt finanziell nicht mehr?“ Die gebürtige Fränkin ist mutiger geworden mit öffentlichen Aussagen, fügt sich aber weiterhin in der braven Tradition des deutschen Frauenfußballs, nur nicht zu laut aufzutreten. Ein Streik für Equal Pay wie bei den US-Frauen wäre hier nicht vorstellbar. „Wir sind mit dem DFB im Austausch“, sagt Huth zum Geld-Thema nur. „Der Verband kennt unseren Standpunkt.“

Nationalteam, Bundesliga: Glaubt man Huth, war das schon sehr lange der Plan. Sie stammt aus einer Fußballerfamilie. Irgendwann musste sie sich entscheiden zwischen einer Karriere im Fußball oder im Tennis, aber sie wusste, die Entscheidung würde für Fußball fallen. „Ich mag das Teamgefühl. Eine Mannschaft zu sein, sich gegenseitig zu helfen, an Niederlagen zu wachsen und gemeinsam Siege und Erfolge zu feiern.“

Totaler Familienmensch

Am Wochenende nicht auf Partys zu gehen, sondern früh ins Bett, all diese Grundsatzentscheidungen traf sie selbstverständlich. „Ich habe bei allem anderen zurückgesteckt. Und ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass meine Eltern mich gerade in jungen Jahren überall hingefahren haben. Wer das nicht hat, kann manche Wege vielleicht nicht machen.“ Die Eltern, die Familie sind das Motiv, das immer wieder auftaucht. „Ich bin ein totaler Familienmensch“, sagt Svenja Huth. Beinahe zu gut ins Bild passt das Tattoo auf ihrem Arm, „Meine Familie im Herzen“ auf Spanisch. Nein, Spanisch könne sie nicht, aber sie mag die Sprache. Und auch, dass nicht direkt jeder lesen kann, was da steht.

Es war vielleicht die Nähe zur Heimat, die sie bis 2015 in Frankfurt ausharren ließ, ein paar Jahre zu lang. „In Potsdam konnte ich nicht mehr einfach nach Hause fahren, wenn mal ein Tag frei war, oder wenn es mir vielleicht mal nicht so gut gegangen ist. Das war anfangs schon eine Umstellung, aber zum Glück habe ich mich von Anfang an direkt wohl gefühlt und es ist gut gelaufen.“ Jetzt also Wolfsburg, davor im Juni noch Weltmeisterschaft in Frankreich. Doch noch hat sie die große Laufbahn erreicht, in ihrem eigenen Tempo.

Auf die Frage nach ihren Idolen nennt Huth interessanterweise als erstes Birgit Prinz, dann Kerstin Garefrekes. Im Gegensatz zu vielen Spielerinnen, die in der Kindheit Männerstars als Vorbilder hatten, ist sie mit dem Blick auf Frauenfußball aufgewachsen. Huth spielte schon in der Jugend beim FFC Frankfurt, eine Generation, die selbstverständlich groß wurde mit weiblichen Stars. „Das war greifbarer“, erklärt sie, „weil ich wusste, dass ich das auch erreichen wollte, was sie geschafft haben.“ Sie ist dem sehr nahe gekommen.

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