Linken-Abgeordnete über Julian Assange: „Deutschland könnte Asyl anbieten“

Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken, unterstützt den Wikileaks-Gründer Julian Assange bei seinem Kampf gegen eine Auslieferung in die USA.

Drei Frauen mit Free-Assange-Plakaten

Heike Hänsel (Mitte) am 15. April vor dem Londoner Gefängnis Belmarsh, in dem Assange sitzt Foto: Peter Nicholls/reuters

taz: Frau Hänsel, Sie haben ­Julian Assange am 20. Dezember letzten Jahres zusammen mit Ihrer Fraktionskollegin Sevim Dağdelen in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht. Warum interessieren Sie sich als deutsche Bundestagsabgeordnete für einen australischen Journalisten?

Heike Hänsel: Wenn ich einen altmodischen beziehungsweise alten Begriff bemühen darf, aus Solidarität. Wir wussten, dass die ecuadorianische Regierung Assange schon Ende März vergangenen Jahres in der Londoner Botschaft weitgehend isoliert hatte; das Internet war gekappt worden, er konnte nicht mehr telefonieren und außer Anwälten und Ärzten keinen Besuch mehr empfangen. Wir sahen seine Menschenrechte massiv verletzt.

Womit hat Julian Assange Ihre Solidarität verdient?

Ich sehe Assange als mutigen Publizisten, der Whistleblowern, die Verfolgung befürchten müssen, auf Wikileaks die Möglichkeit gegeben hat, Dokumente zu veröffentlichen, mit denen Korruption, Kriegsverbrechen und andere üble Aktionen belegt werden konnten.

Der US-Außenminister Mike Pompeo sieht das anders, er hat Wikileaks als „feindlichen nichtstaatlichen Nachrichtendienst“ bezeichnet.

Das ist nicht überraschend, denn Wikileaks hat 2010 schlimme, ekelhafte Kriegsverbrechen von US-Soldaten ­enthüllt. Ich erinnere nur an das Video „Collateral Murder“, in dem zu sehen ist, wie die ­Besatzung eines US-Kampf­hubschraubers im Irak ahnungslose Zivilisten, darunter zwei Journalisten, ermordet. Das gefällt dem einstigen CIA-Chef Mike Pompeo natürlich nicht.

ist stell­vertretende Vorsitzende der Links­fraktion im Bundestag. Im Sommer forderte sie: „Asyl für Assange, nicht für syrische ‚Weißhelme‘“. In letzteren sieht sie „Pro­pa­gan­dis­ten im syrischen Krieg“.

Assange wird von Politikern und Journalisten verdächtigt, ein russischer Agent zu sein.

Die plappern amerikanische Propagandalügen nach und machen sich zu nützlichen Idioten einer Kampagne, mit der von US-Kriegsverbrechen abgelenkt werden soll.

Nichts dran an diesen Vorwürfen?

Für die einen ist Assange ein Handlanger Trumps, für andere ein Agent Putins, für wieder andere gleich beides zusammen. In Wirklichkeit ist er ein unabhängiger Publizist.

Der Mann: Mitgründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, lebte nach Vergewaltigungsvorwürfen seit Juni 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London.

Die Verhaftung: Am 11. April 2019 entzog Ecuadors Präsident Lenín Moreno Assange das Asylrecht, die britische Polizei nahm ihn fest. Assange sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons. Die USA verlangen seine Auslieferung.

Journalisten beschreiben Assange gern als narzisstisch und arrogant. Wie haben Sie ihn erlebt?

Ich habe ein ganz anderes Bild von Julian Assange bekommen. Er war zurückhaltend und eher schüchtern, auf jeden Fall schwer gezeichnet von der Feindseligkeit seiner ecuadorianischen Gastgeber und der totalen Überwachung, der er ausgesetzt war. Auch ich musste mir eine umfassende Körperuntersuchung gefallen lassen. Assange war sehr dankbar, dass wir ihn besucht haben.

Warum wird er so gern als zweifelhafter Charakter dargestellt?

Die ecuadorianische Regierung hat eine üble Schmutzkampagne gegen Assange losgetreten, um davon abzulenken, dass sie ecuadorianisches und internationales Recht gebrochen hat, indem sie einen anerkannten politischen Flüchtling den britischen Behörden überstellt hat.

Wie haben die Ecuadorianer Assange konkret behandelt?

Die ecuadorianische Regierung hat Assange im November letzten Jahres mit einer an die 40 Regeln umfassenden Hausordnung konfrontiert und ihm angedroht, er werde aus der Botschaft geworfen, falls er eine dieser Regeln verletzt. Er hat deshalb die Katze, die ihm seine Kinder geschenkt hatten, wieder weggeben. Er durfte an bestimmten Stellen der Botschaft nicht sprechen; ich habe selbst ein Schild gesehen, auf dem zu lesen war, dass man an diesem Ort in der Botschaft 24 Stunden am Tag nicht sprechen dürfe. Der Besucherraum war voll mit Kameras, auch sein Schlafzimmer war verwanzt. Assange wurde mit psychologischer Kriegsführung zermürbt.

Rafael Correa, der ecuadorianische Präsident, der Assange 2012 Asyl gewährt hat, sagte jetzt nach der Verhaftung von Assange, die US-Regierung habe seinen Nachfolger, Lenín Moreno, mit einem Milliardenkredit dazu motiviert, Assange den Briten zu übergeben.

Moreno, der aktuelle Präsident, hat darauf geantwortet, die Vertreter seiner Regierung und der US-Regierung hätten bei ihren Treffen nie über Assange geredet. Nun denn. Die ecuadorianische Regierung hat sich länger erfolglos um einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds bemüht. Jetzt im März hat sie ihn bekommen.

Assange kann sich über einen Mangel an Feinden nicht beklagen. Die ecuadorianische Regierung, die britische, die US-Regierung. Sehen Sie eine Chance für ihn, in absehbarer Zeit wieder in Freiheit zu kommen?

Ich bin keine Hellseherin. Die Situation ist schwierig, der Druck ist enorm. Es sieht alles danach aus, dass die US-Justiz noch weitere Anklagen gegen ihn aus dem Ärmel ziehen wird. Ich halte es für entscheidend, dass die EU ein klares Zeichen setzt und sagt: Wir treten der extraterritorialen Verfolgung von Assange auf europäischem Boden entschieden entgegen. Wir gewähren ihm Asyl. Deutschland könnte Assange Asyl anbieten.

Könnte. Sie sind mit ihrer Kollegin am Montag vergangener Woche nach London gereist, um Assange wieder zu besuchen.

Der Termin war uns noch einen Tag vor seiner Verhaftung von der ecuadorianischen Botschaft bestätigt worden. Wir sind dann zum Belmarsh-­Hochsicherheitsgefängnis gefahren, wo uns erklärt wurde, dass Assange noch kein Recht auf Besuche habe. Ich werde versuchen, ihn baldmöglichst zu sehen. Sie können sich sicher sein, dass wir an dem Fall dranbleiben, schon weil er medienpolitisch enorm wichtig ist.

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