„Aber Identität ist ja kein Trend“

Autorin Moira Frank über Inspiration, erste Texte und den Mangel an LGBT-Figuren in Jugendbüchern

Die Autorin Moira Frank Foto: Charlotte Niekamp

Von Theresa Bolte

Moira Frank ist Autorin. Das war fast immer so, denn sie schreibt, seit sie kann, und hat es sogar studiert. Ihre Jugend verbrachte sie ohne ÖPNV auf dem Land um Hamburg. So spielt auch in ihren ersten Büchern die Großstadt keine Rolle.

Ihr Debütroman „Sturmflimmern“ von 2016 spielt in den achtziger Jahren in dem kleinen Ort Reagan in den USA. Eine ­Spirale der Gewalt entspinnt sich um die fünfzehnjährige Sofia und ihre Freunde, während die Erwachsenen bemüht sind, die Vergangenheit geheim zu halten.

In „Nachtschwärmer“ hingegen, das als Jugendbuch im Juli erscheinen wird, fährt Helena aus Berlin zu den Freunden ihres verstorbenen Halbbruders Lukas in die Uckermark. Dort lernt sie sein Leben kennen, das ihres hätte sein können. Dabei verliebt sie sich in Clara.

taz: Frau Frank, auf den ersten Blick könnten die Settings nicht unterschiedlicher sein. Was inspiriert Sie zu Ihren Geschichten?

Moira Frank: Am Anfang stehen bei mir Figuren und ihr Konflikt. Sofia und ihre Eltern aus „Sturmflimmern“ entstanden aus der Idee, dass eine Familie nicht blutsverwandt sein muss, und aus der Frage, wie sie dann zusammengefunden hat. Das Setting kam später. „Sturmflimmern“ spielt in den USA, weil meine Jugend durch amerikanische Medien geprägt war, als Hommage quasi. Auch in „Nachtschwärmer“ waren zuerst Figuren und Konflikt da: Ein Mädchen, das bald erwachsen wird, verliert jemanden und muss sein Leben neu ordnen. Es ist aber nicht immer so abstrakt.

Wie sehr beeinflussen Menschen und Geschehnisse um Sie herum Ihre Geschichten?

Ich habe schon ewig Knieprobleme, also konnte ich immer total authentisch Knieverletzungen beschreiben, aber mit der Schreibregel „Write what you know“ konnte ich darüber hi­naus nichts anfangen. Früher konnte ich kleine Ticks und große Charakterzüge instinktiv kopieren, jetzt nach dem Studium kann ich das bewusst, um meine Figuren realistischer und interessanter und natürlich meine Freun­d*in­nen und Familie misstrauischer zu machen, wenn sie meine Bücher lesen.

Sowohl in „Sturmflimmern“ als auch in „Nachtschwärmer“ sind wichtige Figuren queer. Welche Rolle spielen LGBT-Figuren in der derzeitigen Kinder- und Jugendliteratur?

Derzeit ändert sich das, gerade durch Übersetzungen aus den USA. Die sind mit ihren Themen weiter als der deutsche Jugendbuchmarkt. Jetzt merken wir mit Erfolgen wie „Simon vs. The Homo Sapiens Agenda“ im deutschsprachigen Raum, dass ein Publikum da ist für LGBT-Geschichten – wissen aber nicht so recht, ob wir das gut finden oder eher für einen „politisch korrekten Trend“ halten. Aber Identität ist ja kein Trend. Es gab schon immer LGBT-Jugendliche. Die saßen früher noch tiefer im Schrank und waren allen noch ein bisschen egaler als heute. Ich wusste jahrelang nicht, was es war, was an mir nicht stimmte, nur dass ich wirklich scheiße einsam und unglücklich war. Ein unbeschwerter Sommer, verliebt in ein anderes Mädchen sein? Für mich undenkbar. In Aufklärungsbüchern wurden lesbische Gefühle als „Phase“ beiseitegeschoben, in Romanen gab es keine Lesben weit und breit außer Wilma in den „Wilden Hühnern“. LGBT-Figuren hätten mich nicht vor allen negativen Erfahrungen gerettet, aber sie hätten mir geholfen, mich als normal, gesund und zu Glück, Liebe und Stabilität fähig zu sehen. Dazu trage ich heute meinen bescheidenen Teil bei. Es ist höchste Zeit, dass sich unterrepräsentierte und marginalisierte Jugendliche in den Büchern wiederfinden können, die sie lesen, und ich persönlich bin dank Medien und Gesellschaft echt maximal gesättigt, was Heterogeschichten angeht. Ich habe jahrzehntelang „euren“ Status quo gelesen und angeschaut, jetzt beschreibe ich als lesbische Autorin mit vielen LGBT-Freund*innen meinen.

Ihr jetziges Buchprojekt sollte zuerst den Titel „Mutterland“ tragen. Wann änderte sich das? Wie ist der Entstehungsprozess eines Buches bei Ihnen?

Den Titel „Mutterland“ gibt es schon öfter, und er war meinem Verlag auch zu vage. Also haben wir zusammen einen neuen atmosphärischen Titel gesucht und uns auf „Nachtschwärmer“ geeinigt. Was meine Bücher angeht, schreibe ich chronologisch. Mir fällt beim Schreiben ständig noch was ein, und wenn ich den Showdown, der halt immer Spaß macht, dann schon geschrieben habe, passt es am Ende nicht zusammen, und ich habe doppelt so viel Arbeit.

Auf der Streamingplattform Spotify ist jeweils eine Playlist zu beiden Büchern veröffentlicht. Hilft Musik Ihnen beim Schreiben?

Ja, extrem! Ich schreibe immer mit Musik und je nach Projekt und Figur mit unterschiedlichen Playlists. Bei „Nachtschwärmer“ sind das vier Hauptfiguren mit eigenen Playlists, die jeweils über 50 Songs haben und eine sorgfältig festgelegte Reihenfolge. Leider hören fast alle, die ich kenne, auf Shuffle …

Was ist das Schönste daran, ein Buch zu schreiben? Und was das Nervigste?

Mich frustrieren Szenen, die zu schreiben ich eigentlich keine Lust habe. Wenn sie beim Schreiben langweilig sind, sind sie es später oft auch beim Lesen. Ich muss schauen, ob ich sie ändern, streichen oder überspringen kann. Diesen ganzen Stress wiegt der Moment auf, in dem alles zusammenpasst: Das ist so, wie bei einem riesigen Puzzle vier Teile übrig zu haben, die die ganze Zeit nicht gepasst haben und jetzt endlich das Bild abschließen.

Wann ist Ihr erster Text entstanden, und warum schreiben Sie?

In meiner ersten Kurzgeschichte bauen ein paar Kinder am Elbstrand eine Höhle aus Treibholz, sonst passiert eigentlich nichts. Der Text wurde veröffentlicht, als ich 13 Jahre alt war, und danach ist Schreiben schnell von einem Hobby zu dem geworden, was ich bis heute am besten kann und am liebsten tue. Aber das wäre auch ohne diese Kurzgeschichte früher oder später so gekommen, einfach weil Schreiben meine Form ist, auch und gerade wenn das Leben mal anstrengend und nervig ist oder es mir schlecht geht.

Dann folgten 2009 und 2011 das Treffen junger Autor*innen der Berliner Festspiele, 2013 der Walter-Serner-Preis des RBB und des Literaturhauses Berlin, 2015 waren Sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses beim Bachmannpreis. Wie hat sich Ihr Schrei­ben in dieser Zeit verändert?

Wettbewerbe gewinnen ist super, passiert aber sehr, sehr selten und macht Druck: Ich habe oft last minute noch einen Text in genau dem Stil zu schreiben versucht, der bei einem bestimmten Wettbewerb Erfolg hätte, und meistens ist daraus nichts geworden. Aber wenn ich die Texte von 2009 und 2015 vergleiche, habe ich einen riesigen Sprung in meinem Schreiben gemacht. Ich schreibe nicht mehr blind Sätze, die „irgendwie“ gut klingen, aber grammatikalisch und logisch Blödsinn sind und vom Plot so dahinplätschern. Seit 2015 sitzen die Worte, und die Geschichte stimmt auch.

„Sturmflimmern“ gibt es als Hardcover bei cbj, „Nachtschwärmer“ erscheint im Juli.