Rapper über Lyrik, Musik und Repression: „Rumi war meine Inspiration“

Der Rapper Säye Skye war einer der ersten, der im Iran öffentlich über Queerness sprach. 2010, nach der grünen Bewegung, musste er fliehen.

Ein MAnn mit orangenen Haaren sitzt auf dem Boden und lehnt sich mit dem rechten Arm auf den Boden.

„Meine Familie wusste nicht, dass ich in der grünen Bewegung aktiv war“, sagt Säye Skye Foto: Andrea Stenson

Ihre erste Single „Säye Yek Zane Irani“ (zu Deutsch: Schatten einer iranischen Frau) kam 2009 auf den Markt, darin behandeln Sie auch Ihr Queersein. Was ist nach der Veröffentlichung passiert, Herr Skye?

Säye Skye: Nachdem der TV-Sender Voice of America ein Interview mit mir ausstrahlte, erreichten mich über 2.000 Mails. Ich war die erste queere Person, die im Iran als solche so öffentlich zu Wort kam. Mir schrieben Menschen aus vielen ländlichen Gegenden im Iran und auch aus der iranischen Diaspora lange Briefe. Sie waren sehr persönlich, manche erzählten mir sogar, dass meine Musik sie vom Suizid abgehalten hat. Es steckt so viel Widerstandsfähigkeit in diesen Geschichten. Bis heute schreiben mich queere Iraner_innen auf Instagram an, obwohl ich die letzten zehn Jahre wenig aktiv war.

Eine junge Person schrieb mir, dass sie ihrer Mutter meinen Song vorspielte, aus dem Haus ging und sie dann anrief um zu sagen: „Mama, der Song handelt von mir. Darf ich nach Hause kommen?“ Sie outen sich mithilfe meiner Musik bei ihren Eltern. Ich war nicht darauf vorbereitet, in so eine Vorbildposition zu kommen. Das zeigt auch: Egal, wie sehr uns der iranische Staat mit Repressionen bedroht, wir hören nicht auf zu existieren. Diese Geschichten zeigen mir, dass meine Arbeit doch Einfluss hat und dass es sich zu kämpfen lohnt. Die Welt ist zu groß für Kategorien. Das habe ich vom Dichter Rumi (einer der bedeutendsten persischsprachigen Dichter des Mittelalters, Anm. d. Red.) gelernt. Es geht nicht um mich oder Sie – es geht um etwas viel Größeres.

Schon mit 13 Jahren haben Sie angefangen, Gedichte und Lieder zu schreiben. War Rumi auch damals schon Ihr Vorbild?

Ja, Rumi war meine Inspiration. Mein Großvater war ein Dichter, er hat mir schon im Kindesalter sein Werk gezeigt. Bevor ich lesen oder schreiben konnte, lernte ich also diese Gedichte auswendig. Unsere Familientradition zum Neujahrsfest war es immer, mich als Kind in die Mitte der Runde zu setzen und Rumi-Verse mit Seitenzahlen abzufragen. Hardcore-persian style (lacht).

Rumi spricht über ein besonderes Level an Liebe, Achtsamkeit und Spiritualität – diesen Zugang habe ich sonst nirgendwo finden können. Wir leben in einer Welt voller Einschränkungen und Vorschriften. Rumi steht über all diesem. Ich habe im Alter von sieben Jahren mein erstes Gedicht geschrieben. Seitdem wurde das Schreiben für mich ein Ventil für meine Gedanken und eine Überlebensstrategie.

ist ein iranischer Rapper und Menschenrechtsaktivist. In seiner Musik beschäftigt er sich mit trans, queeren und feministischen Themen. 2010 floh er in die Türkei, seit 2011 lebt er in Kanada. Über sein Alter möchte er nicht sprechen.

Es wird Rumi ja auch nachgesagt, queer gewesen zu sein. War Ihnen das damals bewusst?

Dass er queer ist, wusste ich als Kind nicht, aber ich habe mich mit Rumi immer stark verbunden gefühlt. Die Beziehung zwischen Rumi und Schams (ein persischer Mystiker des 12. und 13. Jahrhunderts, Anm. d. Red.) kam mir schon damals sehr besonders vor. Sie sind zusammen überall hingegangen und sie schrieben sich gegenseitig diese wunderschönen Gedichte.

Irgendwann kamen Sie dann von der Lyrik zur Rapmusik.

Rap ist Lyrik – selbst wenn das Umfeld, das Publikum und die Haltung sich vielleicht stark vom klassischen Literaturmilieu unterscheiden. Als ich 14 war, gewann ich in Teheran einen Literaturpreis für Lyrik. Danach kamen die Zeitungen Hamshahri und Keyhan auf mich zu, ich wurde bei ihnen Kolumnist. Die Texte handelten von den Herausforderungen und Problemen der Jugend. Es kristallisierte sich jedoch schnell heraus, dass meine Gedanken zensiert wurden, es ging um die Beziehungen zwischen Jungs und Mädchen. Das galt als Tabu. Als sie meine Texte ohne Rücksprache änderten, entschied ich mich dagegen, weiterhin dort zu publizieren. Das Bedürfnis aber, über all diese Themen zu schreiben, blieb.

Wie ging es weiter?

Wenn ich mit Freund_innen zusammenkam, baten mich die Gäste oft, meine Texte zu performen. Wir bauten zueinander eine Verbindung auf. So fing das an. Rap als mögliche Plattform habe ich anfangs gar nicht in Betracht gezogen. Eines Tages stellten Freund_innen von mir mich einer Gruppe Rapper für eine Zusammenarbeit vor. Sie waren schrecklich. Ich ließ sie nicht einmal meinen Namen auf den Song setzen, er war total sexistisch. Auf diese Art konnte ich jedoch in der Studioindustrie Fuß fassen. Es ist eine Underground-Industrie, der Zugang ist nicht besonders leicht.

Ich musste viel dafür arbeiten, um meine ersten drei Songs im Iran aufnehmen zu können. Viele Studios lehnten mich ab, weil meine Musik von Lesben und trans*Personen handelte. Irgendwann lernte ich jemanden kennen, der mich in seinem Studio aufnehmen ließ. Die Bedingung war, dass ich niemandem von der Zusammenarbeit erzählte und nach Mitternacht dorthin kam. Das war die einzige Möglichkeit für mich. Ich sagte dem Produzenten, dass ich mir einen futuristischen Klang wünsche – denn die Vergangenheit wurde uns genommen, Geschichtsbücher werden umgeschrieben und Tatsachen vertuscht. In der Zukunft liegt die Hoffnung.

Im Iran sind homosexuelle Handlungen strafbar, Queerness wird tabuisiert. Wie kamen Sie trotz zensiertem Internet an queere Inhalte ran?

Einerseits über Server im Ausland, andererseits bestellte ich bei Raubkopie-DVD-Händlern auf den Straßen queere Filme wie „Boys don’t cry“. Ich war in Internetcafés, die früher nicht so krass überwacht waren wie heute. Ich las mich durch LGBTQ-Nachrichtenseiten, schaute die US-amerikanische Ellen DeGeneres-Show.

Mit welcher Musik Sind Sie aufgewachsen?

Ich bin mit Popsongs aus den 1980ern aufgewachsen. Der Rap, den ich aus dem Satellitenfernsehen kannte, sprach mich inhaltlich nicht an. Die Typen wirkten lässig, aber es war mir zu Mainstream. Die Texte hatten keine Botschaft. Als ich selber anfing zu rappen, merkte ich, dass mein Flow sehr schnell ist. Obwohl ich seine Texte schwierig finde, orientierte ich mich ein bisschen an Eminem.

Ich beobachtete genau, wie er die Wörter anordnete. Das inspirierte mich, mein eigenes Ding zu machen. Inhaltlich inspirieren mich die Nachrichten. Ich bin nicht nur Künstler, sondern auch Menschenrechtsaktivist. Mir geht es nicht um den Ruhm oder den Erfolg, sondern in erster Linie um meine Botschaft. Ich bin ein Storyteller.

Das hört man aus Ihren Songs heraus. Hatten Sie vor Ihrer ersten Veröffentlichung Angst davor, Ihre Familie in Gefahr zu bringen?

Da ich auf dem Coverbild unkenntlich war, dachte ich nicht, dass man mich hätte identifizieren können. Ich war auch Teil der regimekritischen Grünen Bewegung im Jahr 2009, die blutig niedergeschlagen wurde. Inmitten dieser Aufstände veröffentlichte ich meine erste Single. Im Land war zu dem Zeitpunkt so viel los, dass ich dachte, die Autoritäten seien zu beschäftigt damit, Protestierende zu verfolgen, als meinen Song zu hören.

Aber da lag ich falsch, denn ich wurde zu dem Zeitpunkt bereits sechs Monate lang abgehört. Zu dem Zeitpunkt hatte sich noch nie jemand öffentlich im Iran als queer geoutet. Besonders wenn es wie in meinem Fall eine konservative Familie ist. Meine Familie wusste weder, dass ich in der Grünen Bewegung aktiv war, noch, dass ich über Queerness rappe.

2010 mussten Sie dann ins Exil in die Türkei fliehen, später zogen Sie nach Kanada. Aktuell sind Sie in Berlin. Bekommen Sie noch etwas von Queers im Iran mit?

Definitiv. Meine Freund_innen leben dort weiterhin, sie sind politisch aktiv, organisieren sich unter anderem in der Frauenbewegung „Die Töchter der Revolutionsstraße“. Zwei Fans von mir, ein lesbisches Pärchen, protestierten in Teheran, indem die beiden auf der Straße ihre weißen Kopftücher abnahmen. Dabei wurden sie von der Polizei erwischt und mussten wegrennen. Eine von ihnen wurde verhaftet, die andere schrieb mir auf Instagram und erzählte mir, was passiert ist, damit die Infos nach außen gelangen. Auf Instagram laden queere Leute Fotos davon hoch, wie sie auf der Straße Händchenhalten.

Ob im Verborgenen oder trotz aller Risiken in der Öffentlichkeit: Iranische Queers hören nicht auf, ihre Wahrheiten zu leben und sie sind dabei ziemlich furchtlos. Viele von ihnen haben keine Lust mehr darauf zu verstecken, wer sie sind. Und einige von ihnen haben sogar eine Familie, die hinter ihnen steht. Ich freue mich für sie. Was mich angeht: Ich musste alles, was ich habe, aufgeben und fliehen. Das ist die Realität von Menschen im Exil. Ein Teil der Stigmatisierung von Queers im Iran ist der Verbreitung von Fake News geschuldet. Neben der Propaganda, die von der Regierung verbreitet wird, gibt es auch Fehlinformationen innerhalb der LGBTQ-Community, weil dort einfach die Ressourcen fehlen. Es gibt ja nur einen erschwerten Zugang zu den richtigen Informationen.

Obwohl Sie schon seit neun Jahren nicht mehr im Iran leben, machen Sie Ihre Musik trotzdem auf Persisch.

Das ist nun mal die Sprache, auf der ich mich am besten ausdrücken kann. Indem ich auf Persisch über LGBTQ-Rechte spreche, bleiben die Infos für jene zugänglich, die vielleicht keinen queeren englischen Rap verstehen. Es ist einfach unmittelbarer. Und ich freue mich schon auf den Tag, an dem wir alle zusammen auf der Teheran Pride feiern können.

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