Kommentar Umziehen mit Hartz IV: Kafka im Jobcenter

Der Staat will, dass Vermieter die Mieten alle drei Jahre erhöhen können. Dann muss er aber auch Jobcentern erlauben, die Erhöhung mitzutragen.

Wohnhäuser stehen nebeneinander

Die Mietobergrenzen für Hartz IV hinken der Mietpreisentwicklung um Jahre hinterher Foto: dpa

Der Staat hat es sich 200 Millionen Euro kosten lassen, die Ämter von der Unternehmensberatung McKinsey in optimierte Bürokratiehöllen zu verwandeln, die schon bei ein paar Euro Überzahlung gegen Erwerbslose vor Gericht ziehen. Die Jobcenter, die jede Kleinigkeit in Akten vermerken, agieren im Verborgenen: Wie oft Menschen ihre Wohnung verlieren, weil das Amt auf Senkung der Kosten pocht, wird nicht flächendeckend erfasst. Kafka im Jobcenter.

Eine hohe Zahl an Bescheiden ist fehlerhaft, doch nur wenige Betroffene ziehen vor Gericht. Dort verlieren die Jobcenter zwar fast 40 Prozent ihrer Prozesse. Allerdings stellen sie manchmal gar nicht erst Bescheide aus. Man kann sie dann – kein Scherz – beantragen. Und nach der Räumung anfechten.

Die Mietobergrenzen für Hartz IV hinken der Mietpreisentwicklung um Jahre hinterher. Kommunen erhöhen die Grenzen oft nur nach jahrelangem Streit, und dann auf Beträge, mit denen niemand mehr eine Wohnung findet. Doch selbst wenn: Die Prüfung der potenziellen Wohnung kann Wochen dauern, und von den wenigen Vermietern, die überhaupt Wohnungen an Hartz IV-EmpfängerInnen vermieten, verlieren viele die Geduld.

Die Begründung von Städten wie Leipzig, die Mietobergrenzen für Erwerbslose aus Sorge vor Preissteigerung nicht mehr weiter zu erhöhen, ist wohlfeil. Wenn der Staat will, dass Vermieter die Bestandsmieten alle drei Jahre um bis zu 20 Prozent erhöhen können, muss er auch Jobcentern erlauben, die Erhöhung mitzutragen.

Der Satz „In Deutschland muss niemand auf der Straße leben“ war schon immer falsch. In Zeiten explodierender Mieten bei streng gedeckelten Obergrenzen für Hartz IV ist er ein Skandal. Wenn Kommunen nicht noch mehr Obdachlose produzieren wollen, müssen sie reagieren und die Hartz-IV-Mietgrenzen jährlich pauschal und zusätzlich im Einzelfall anpassen. Bis endlich eine wirksame Mietpreisbremse verhindert, dass Menschen aus ihrem Zuhause verdrängt werden.

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Helke Ellersiek, Jahrgang 1994, studiert Politikwissenschaft in Leipzig und schreibt seit 2015 für die taz, zunächst als NRW-Korrespondentin und später im Team der taz.Leipzig. Seit 2017 berichtet sie für verschiedene Medien aus Ostdeutschland.

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