Früherer FDP-Außenminister gestorben: Die Größe, sich nicht großzumachen

Er pflegte das Understatement: Klaus Kinkel gehörte zu jenen Politikern, die sich als Dienstleister sehen und nicht als Held.

Ehemaliger FDP-Außenminister Klaus Kinkel sitzt während einer Haushaltsdebatte auf einem Stuhl

Beamtische Bescheidenheit: Kinkel verkörperte damit einen sympathischen Zug der Bonner Republik Foto: imago

BERLIN taz | Klaus Kinkel war unerkannt in die taz geschlüpft an jenem Mittag im Dezember 2016. Im alten Rudi-Dutschke-Haus saß er im fast leeren Konferenzraum, unterhielt sich mit dem Kollegen und Behindertenaktivisten Christian Specht und wartete auf den Interviewtermin. Es war sein Vorschlag gewesen, von zu Hause in Sankt Augustin bei Bonn nach Berlin zu kommen, die taz müsse bloß den Flug erstatten, 90 Euro Ryanair.

Kinkel war Ministerialdirektor, Geheimdienstchef, Justizminister, Außenminister und FDP-Vorsitzender. Er speiste mit den Mächtigen der Welt, aber er blieb neugierig und unprätentiös. Vielleicht auch weil er wusste, dass Understatement mehr zu ihm passte als die Allüren eines Aufsteigers.

Kinkel ist in Hechingen am Westrand der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Er studierte Jura in Tübingen und Bonn und promovierte in Köln. Nach einem Jahr im Bundesinnenministerium ging er wieder zurück in seine Heimat, zuerst ins Landratsamt, dann versuchte er vergeblich Bürgermeister von Hechingen zu werden. Später hat man ihm immer wieder vorgeworfen, dass dies eigentlich seine Kragenweite sei: Ein braver Amtsmann, der besser als Provinzbürgermeister sein Glück gemacht hätte, statt sich auf die Weltbühne zu verirren. Aber das ist falsch.

Es stimmt zwar, dass Kinkel als Kofferträger Karriere machte. Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesinnenminister, ernannte ihn 1970 zum persönlichen Referenten und wurde sein Mentor. Es stimmt auch, dass es fast komisch wirkt, wenn man sich Kinkel als BND-Chef vorstellt: Als ungleiches Gegenüber von Markus Wolf, dem legendären Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes. Und Kinkel selbst hat ja gesagt, dass er als Genschers Nachfolger 1992 im Außenministerium in riesige Fußstapfen treten musste.

Sympathischer Zug der Bonner Republik

Nur ist es eben nicht unbedingt das Schlechteste, wenn sich ein Politiker als Dienstleister sieht. Im politischen Berlin von heute halten alle möglichen Leute ihre Sätze für Sentenzen und sich für Symbolfiguren. In seiner beamtischen Bescheidenheit verkörperte Kinkel dagegen einen sympathischen Zug der Bonner Republik.

Auch am Rhein gab es schon Pomp mit Zubehör, das Außenministerium war das Prunkamt schlechthin. Aber während Genscher fürs Radio immer erreichbar war und Joschka Fischer andauernd öffentlichkeitswirksam zu sich selbst lief, ging Klaus Kinkel seines Weges und seinen Amtsgeschäften nach.

Wer jetzt denkt, Kinkel sei gern still gewesen, irrt. Mit schwäbischer Schwertgosch schimpfte er, wenn ihm wieder jemand „auf den Wecker“ ging. 1992 verlangte er bei einem Türkeibesuch die Achtung der Menschenrechte. Die wollte er auch immer wieder im „kritischen Dialog“ mit China und dem Iran fördern, aber diese Strategie floppte. Wenn Kinkel sich empörte, dann grinsten die Mullahs in Teheran sich eins und die Machthaber in Peking konnten sich sicher sein, dass den Deutschen im Zweifel ihre Geschäfte wichtiger waren.

Linksliberale hofften in den späten Kohl-Jahren immer ein wenig auf Kinkel, und der Außenminister war schließlich stets dabei, wenn der Kanzler zu den Gipfeltreffen der Welt fuhr. Doch regelmäßig verblassten die Hoffnungsschimmer, denn Kohl und Kinkel waren wie Koch und Kellner. Was sie allerdings beide wollten, war die europäische Einigung. In Kinkels Amtszeit traten Schweden, Finnland und Österreich der EU bei.

Seltsames Fremdeln mit der Politik

Im Dezember 2016 in der taz erkannte ihn dann schließlich doch jemand und rief an: „Hier unten sitzt der Kinkel, will der zu euch?“ Im Gespräch zog er über die Leisetreterei der Bundesregierung gegenüber Erdoğan her, er erzählte von „der Clinton“, von Merkel („Was diese Frau runterreißt und leistet, ist enorm“) und Kohl „in seiner Macht“. Es klang, wie wenn jemand von Familientreffen berichtet, einerseits. Und andererseits war da immer Distanz, er duzte ja nicht mal seinen Ziehvater Genscher, ein seltsames Fremdeln mit der Politik, in der er sein Leben verbracht hatte.

Damals sprachen wir mit Kinkel auch über den Tod. Er erzählte, dass er das Sterben ganz rational betrachte, schon früh, als Sohn eines Arztes, der viel mit Sterbenden zu tun hatte. Oder heute, wenn er Todesanzeigen lese. Dass der Tod von jungen Menschen viel tragischer sei, wie damals, als seine zwanzig Jahre alte Tochter bei einem Fahrradunfall ums Leben kam. Und als er sagte, manche Menschen seien nicht ersetzbar, war klar: Kinkel meinte nicht sich. Obwohl er weit gekommen ist, hatte dieser Mann die Größe, sich nie groß zu machen. Am Montag ist Klaus Kinkel im Alter von 82 Jahren gestorben.

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