Israel und Gaza: UN-Rat befürchtet „Kriegsverbrechen“

Der UN-Menschenrechtsrat wirft Israel schwere Vergehen an der Grenze zu Gaza vor. 189 meist unbewaffnete Menschen seien 2018 getötet worden.

Mehrere Männer tragen einen blutenden Mann, andere halten Kameras in die Höhe.

Alltag an der Grenze zu Israel: ein verletzter Palästinenser wird davongetragen Foto: reuters

BERLIN taz | 189 Tote und mehrere Tausend Verletzte auf palästinensischer Seite, keine Toten und vier Verletzte auf israelischer Seite. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom UN-Menschenrechtsrat in Genf eingesetzte Untersuchungskommission, die am Donnerstag einen Bericht zu den Auseinandersetzungen an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen im vergangenen Jahr vorlegte.

Seit Ende März 2018 demonstrieren PalästinenserInnen im Gazastreifen fast wöchentlich am Grenzzaun zu Israel gegen die seit knapp zwölf Jahren bestehende Gaza-Blockade. Sie fordern bessere Lebensbedingungen und die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge ins heutige Israel. Unter anderem die im Gazastreifen herrschende Hamas rief zu friedlichen Protesten auf, nahm zivile Opfer dabei aber in Kauf.

Die israelische Armee lässt Scharfschützen auf die DemonstrantInnen schießen und hat dabei nach Ansicht der UN-Kommission Menschenrechte verletzt. „Einige der Menschenrechtsverletzungen könnten Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, die Israel umgehend untersuchen muss“, sagte der Vorsitzende der Untersuchungskommission Santiago Canton.

Die israelische Regierung wies die Befunde als „feindselig und voreingenommen“ zurück. „Keine Institution kann Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprechen“, erklärte Außenminister Israel Katz. Das Land habe die „Pflicht, seine Bürger und Grenzen vor gewaltsamen Angriffen zu schützen“. Ein Sprecher des Außenministeriums nannte den UN-Menschenrechtsrat einen „de facto Komplizen der Hamas“.

Dass die Proteste teils gewaltsam waren, streitet die UN-Kommission nicht ab. Auf palästinensischer Seite habe es „einige erhebliche Gewaltakte“ gegeben, heißt es in dem Bericht. Dennoch habe es sich „nicht um Kampfhandlungen oder einen Militäreinsatz“ gehandelt. Der sogenannte „Große Marsch der Rückkehr“ sei eine zivile Demonstration „mit klar erkennbaren politischen Zielen“.

Im Zuge der Proteste hatten DemonstrantInnen auch brennende Drachen und mit Helium gefüllte Ballons über die Grenze geschickt, was auf israelischer Seite teils verheerende Feuer auslöste, aber keine Toten forderte.

Die meisten Erschossenen waren unbewaffnet

Ein genauerer Blick auf die von dem UN-Gremium veröffentlichten Zahlen zeigt, dass fast alle Getöteten erschossen wurden. 154 der Opfer seien zudem unbewaffnet gewesen. Unter den Toten waren 35 Kinder und eine Frau. Fünf Menschen seien getötet worden, die als Sanitäter oder Journalisten erkennbar gewesen seien. Mehr als 6.000 unbewaffnete Menschen seien angeschossen worden.

Nach Angaben der UN-Kommission könnte der Tatbestand des Kriegsverbrechens auf jene Fälle zutreffen, in denen israelische Scharfschützen gezielt Zivilisten töteten, die weder direkt an Feindseligkeiten beteiligt waren noch eine unmittelbare Bedrohung darstellten. Darunter seien auch die Fälle, in denen Journalisten, Sanitäter, Kinder und Behinderte erschossen wurden, die „klar als solche erkennbar“ waren.

Ein israelischer Soldat, der an einem Demonstrationstag im November getötet wurde, kam nicht in direktem Zusammenhang mit den Protesten am Grenzzaun ums Leben und ist daher nicht Teil der Statistik.

Israel wirft den Vereinten Nationen generell und auch dem UN-Menschenrechtsrat anti-israelische Voreingenommenheit vor. Alternative Opferzahlen legte die Regierung am Donnerstag jedoch nicht vor. Die Untersuchung war vom UN-Menschenrechtsrat im vergangenen Mai beschlossen worden. Während europäische Länder wie Spanien und Belgien den Beschluss mittrugen, enthielt sich Deutschland. Die USA votierten gegen die Untersuchung.

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