Neutralitätsgesetz auf dem Prüfstand: Weiter Gezerre am Kopftuch

Berlin geht gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts in Revision. Nun muss im Grundsatz entschieden werden, ob das Neutralitätsgesetz zu halten ist.

Immer wieder Streit ums Kopftuch: Jetzt landet das Neutralitätsgebot vor dem Bundesarbeitsgericht Foto: dpa

Das Berliner Neutralitätsgesetz wird ein Fall für die Bundesrichter: Am Mittwoch wurde bekannt, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor das Bundesarbeitsgericht nach Erfurt zieht, um klären zu lassen, ob das Neutralitätsgesetz zu halten ist. Man sei sehr daran interessiert, endlich Rechtssicherheit herzustellen, betonte Scheeres’ Sprecher. „Und nun haben wir einen Fall, der sich für eine grundsätzliche Klärung eignet.“

Bei diesem Fall geht es um eine Kopftuch tragende Muslimin, die sich für den Schuldienst beworben hatte. Im Bewer­bungs­gespräch erklärte die Diplominformatikerin, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen. Die Bildungsverwaltung stellte die Frau daraufhin nicht ein, weil in Berlin seit 2005 das Neutralitätsgesetz gilt: Religiöse Symbole sind bei LehrerInnen (ausgenommen BerufsschullehrerInnen), bei RichterInnen und im Polizeidienst nicht erlaubt. Das Bekenntnis zu weltanschaulich-religiöser Neutralität hat hier also Priorität vor der Glaubensfreiheit des Einzelnen.

Die abgelehnte Bewerberin klagte daraufhin 2018 vor dem Arbeitsgericht und wurde in erster Instanz abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht, die nächsthöhere Instanz, kassierte das Urteil allerdings im November. Das Land Berlin wurde zu einer Entschädigungszahlung von rund 5.200 Euro verurteilt.

In der nun vorliegenden Urteilsbegründung heißt es: Das „Tragen eines islamischen Kopftuches“ begründe „im Regelfall“ noch keine „hinreichend konkrete Gefahr“. Das Land habe also nicht belegen können, inwiefern die Klägerin ein konkretes „Gefahrenpotential“ etwa für den Schulfrieden darstellen könnte.

Dagegen geht das Land nun in Revision. „Wir gehen davon aus, dass man beim Bundesarbeitsgericht unserer Argumentation folgt“, hieß es aus Scheeres’ Verwaltung. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 2015 geurteilt, dass ein pauschales Verbot – wie es das Berliner Neutralitätsgesetz beinhaltet – diskriminierend sei. Es gebe allerdings auch ein Urteil aus dem Jahre 2003, in dem Karlsruhe wiederum gerade im Bereich Schule den Ländern deutlich mehr Spielraum lasse.

„Die Rechtsprechung ist klar“

Mit dieser Einschätzung stand die Bildungsverwaltung am Mittwoch allerdings allein da. Christian Pestalozza, Verfassungsrechtler an der Freien Universität Berlin, sagte der taz: „Die Revision wird scheitern. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist klar, das Bundesarbeitsgericht wird sich nicht dagegen stellen.“ Er sehe daher „gar keine Alternative, als dass der Senat sich jetzt hinsetzt und seine Hausaufgaben macht“.

Christian Pestalozza, Verfassungsrechtler an der FU

„Die Revision wird scheitern“

Konkret könnte es darauf hinauslaufen, dass das Neutralitätsgesetz zwar bestehen bleibt, ein Verbot von religiösen Symbolen aber unter Vorbehalt gestellt wird. Im Klartext: Erst wenn es an einer Schule einen konkreten Konflikt wegen des Kopftuchs gibt, würde das Verbot greifen. Was das Berliner Neutralitätsgesetz also derzeit als Regelfall annimmt, wäre der zu beweisende Ausnahmefall.

Insbesondere die Grünen kritisieren das Neutralitätsgebot, an dem Scheeres vehement festhält. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), bekennender Kritiker des Neutralitätsgesetzes, sagte am Mittwoch auf taz-Anfrage, Scheeres’ Vorstoß sei „gut und richtig“, weil nun endlich eine grundsätzliche Klärung zu erwarten sei. Er gehe allerdings davon aus, „dass das Neutralitätsgesetz fällt“.

Bettina Jarasch, integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, betonte, die innere Einstellung einer Lehrerin könne man nicht am Kopftuch festmachen. „Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass jede Lehrerin das Neutralitätsgebot achtet – ob mit oder ohne Kopftuch.“

Wann es vor dem Bundesarbeitsgericht weitergeht, ist noch offen. Das BAG kann auch direkt an das Verfassungsgericht weiterverweisen.

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