Cohens Aussage zum US-Präsidenten: Trumps Trickster

In der Mythologie eine klassische Figur: der ambivalente Charakter, der die Wirklichkeit durcheinanderbringt. Für Trump war Cohen lange Jahre genau das.

Michael Cohen während seiner Aussage im US-Kongress

Der Mann mit vielen Gesichtern: der ehemalige Trump-Anwalt Michael Cohen Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bühne war bereitet für Michael Cohen. Als sich der langjährige Ex-Anwalt Donald Trumps über fünf Stunden vor dem Oversight Committee des US-Kongresses den Fragen von Demokraten und Republikanern stellte, übertrugen etliche TV-Sender und Nachrichtenportale live, sodass Millionen Amerikaner die Anhörung am Bildschirm verfolgten.

Und was sie sahen, war eine große conversio. Denn jener Michael Cohen, der rund eine Dekade lang als verschlagener Problemlöser des Präsidenten agierte, der für diesen nach Eigenaussage rund „500-mal“ Menschen oder Institutionen einschüchterte, der mutmaßlich Schweigegelder zahlte und unter anderem bereits wegen Steuer­hinterziehung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, dieser Michael Cohen zeigte sich nun reumütig. „Ich schäme mich, dass ich daran beteiligt war, Trumps illegale Taten verheimlicht zu haben, anstelle auf mein Gewissen zu hören“, gab er zu Protokoll. „Herr Trump ist ein Rassist, ein Schwindler, ein Betrüger.“

Wenngleich in der Anhörung inhaltlich kaum Neues zutage trat und Cohen auch kaum Beweise für seine Anschuldigen vorlegen konnte, offenbarte seine bußfertig vorgetragene Passionsgeschichte dennoch eine geradezu demokratietheoretische Einsicht. Jedoch eben nicht, weil es hier tatsächlich Erkenntnisgewinne über den US-Präsidenten gegeben hätte, die erhofft man sich vom ausstehenden Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller, sondern weil die Figur des Michael Cohen en passant auch die Herausforderung des Populismus verkörpert.

Denn die Bühne des US-Kongresses passte für Cohen deshalb auch so gut, weil man ihn zunächst genau als das begreifen muss: als quasiliterarische Figur. Und zwar nicht nur vor dem Hintergrund des Gemeinplatzes, dass Politik immer auch als theatrale Inszenierung daherkommt, sondern vielmehr in dem sehr präzisen Sinne, dass Cohen Trumps Trickster ist. Letzteres bezeichnet in Mythologie und Literatur jene ambivalenten Charaktere, die mittels Betrug, Täuschung und Verstellung die Ordnung verunklaren und die Wirklichkeit durcheinanderbringen.

Nils Markwardt, Jahrgang 1986, ist Leitender Redakteur des Philosophie Magazin.

Sie, die zumeist verdeckt an den Peripherien des Politischen operieren, sind damit buchstäbliche Schaltfiguren der Macht, die durch die Vernebelung der Verhältnisse neue Möglichkeitsräume kreieren. Ob Loki, Shakespeares Jago oder Schillers „Mohr“: Sie alle offenbaren sich als Agenten der Entscheidung, deren zentrale Aufgabe darin besteht, die Grenzen von wahr und falsch, gut und böse, eindeutig und uneindeutig porös werden zu lassen.

Cohen – der Spieler, der devil’s advocate

Als trickreiche Ein-Mann-Agentur war Michael Cohen für Trump nun genau das: ein Spieler, der mittels Bestechung, Bedrohung und Täuschung die Lügen des US-Präsidenten ermöglichte, zumindest absicherte. Und mehr noch: Besteht, wie Hannah Arendt einst bemerkte, der Nährboden des Autoritarismus weniger in der Ausstellung ideologischer Überzeugungstäterschaft, als vielmehr in der Herstellung einer Öffentlichkeit, „für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert“, kann man Cohen als Prototyp jener populistischen Polit­ingenieure begreifen, die den Wiederaufstieg des Autoritarismus erst ermöglichten.

Über Stunden wurde Michael Cohen am Mittwoch vor dem US-Kongress zu seiner Tätigkeit als Anwalt von Donald Trump befragt. „Er ist ein Rassist. Er ist ein Hochstapler. Und er ist ein Betrüger“, sagte Cohen, wegen einer Falschaussage vor dem Kongress und wegen Verstößen gegen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung selbst zu drei Jahren Haft verurteilt, über Trump.

Die Sache mit Wikileaks:

Cohen sagte, Trump sei im Wahlkampf 2016 vorab darüber informiert gewesen, dass die Enthüllungsplattform Wikileaks gehackte E-Mails der US-Demokraten in ihrem Besitz hatte, die seiner Rivalin Hillary Clinton schaden würden. Er habe gewusst, dass sein langjähriger Vertrauter Roger Stone mit Wikileaks-Gründer Julian Assange über die E-Mails gesprochen habe.

Schweigegeld im Wahlkampf:Cohen untermauerte seine Vorwürfe, er habe im Auftrag Trumps Schweigegeld an den Pornostar Stormy Daniels sowie an das Ex-Playmate Karen McDougal gezahlt. Beide Frauen behaupten, eine Affäre mit Trump gehabt zu haben.

Die Russland-Connection:

Cohen sagte, dass er zwar keine direkten Beweise dafür habe, dass Trump oder sein Wahlkampfteam 2016 Geheimabsprachen mit Russland getroffen hätten. Er habe aber den Verdacht, dass Trump von einem Treffen mit einer russischen Anwältin gewusst habe, an dem unter anderem sein ältester Sohn Donald Trump Jr. teilnahm und bei dem es darum gegangen sei, dass Russland kompromittierende Informationen über Hillary Clinton weitergibt.

Wie geht’s weiter?

Am Donnerstag sagte Cohen vor dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses aus – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. (dpa, ap, taz)

Das eigentlich Interessante an Trumps Ex-Anwalt besteht nun jedoch darin, dass es zu kurz greift, verbuchte man ihn lediglich als devil’s advocate, der das Trickster-Dasein satt hat und nach seiner eigenen Verurteilung zum Kronzeugen von Trumps Ruchlosigkeit wird. Während seiner Anhörung im US-Kongress konnte man nämlich gut beobachten, wie Cohen, ob gewollt oder ungewollt, auf einer zweiten Ebene abermals zum Trickster wurde. Denn zwischen Demokraten und Republikanern entbrannte schnell die Debatte darüber, wie glaubwürdig Cohen überhaupt sei. Für die Republikaner stand die Antwort schnell fest: gar nicht. Immerhin handele es sich bei ihm um einen gleichermaßen egomanischen wie notorischen Lügner.

Auch wenn die Grand Old Party längst nur noch eine politische Geisel Trumps ist, sodass sich derlei erwartbare Einschätzungen als Ausstellung des eigenen Stockholm-Syndroms verstehen lassen, macht das die Zweifel an Cohens Glaubwürdigkeit dennoch nicht komplett unplausibel. Die Demokraten, auf deren Ansinnen Cohen überhaupt erst vorgeladen wurde, sahen das freilich komplett anders und feierten diesen als geläuterten Widerstandskämpfer gegen die Trump’sche Tyrannei. Der Abgeordnete Jim Cooper fragte Cohen sogar, welche Tipps er für junge Juristen habe, damit diese nicht vom rechten Weg abkommen.

So durchsichtig die Argumentation der Republikaner ist, so bemerkenswert scheint jedoch auch, wie Demokraten und Trump-Gegner Cohen nun symbolisch um den Hals fallen. Denn hier sagte schließlich ein Mann aus, der juristisch zwar nichts mehr zu verlieren hat, dessen narzisstischer Geltungsdrang und öffentliches Rehabilitationsbedürfnis aber eben auch nicht klein sein dürften, sodass sich einstweilen also kaum sagen lässt, ob und inwiefern er wirklich glaubwürdig ist. Die Demokraten wollten in ihm, dem einstigen Vernebeler und Verunklarer, jedoch den moralisch eindeutig Geläuterten sehen. Einfach, weil es so gut passt.

Paradoxerweise funktionierte die Figur des Michael Cohen aber gerade deshalb abermals als Trickster. Indem die Demokraten ihn so bedenkenlos umschmeichelten und seine Aussagen als Ausweis wahrhafter Reue verbuchten, beteiligten sie sich selbst an der Grenzverwischung von wahr und falsch. Denn die vorherrschende Logik schien hier: Cohen gilt nicht deshalb als glaubhaft, weil er Beweise liefert oder über Zweifel erhaben ist, sondern deshalb, weil man sich gut vorstellen kann, dass Trump tatsächlich all das getan und befohlen hat, was Cohen sagt. Doch genau diese Logik ist von derjenigen Trumps gar nicht mehr weit entfernt.

Gäbe es Cohen nicht, Trump müsste ihn erfinden

Hatte Aristoteles einst die berühmte Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung eingeführt, wonach Erstere das „wirklich Geschehene mitteilt“, während es Zweiterer darum geht, „was geschehen könnte“, besteht eine Kernstrategie des Populismus nämlich darin, ebendiese Differenz in der Erwartungshaltung des Publikums aufzulösen. Sprich: Besonders gut lassen sich die Verhältnisse verunklaren, wenn politisch nicht mehr entscheidend ist, ob etwas passiert ist, sondern nur noch, ob man glaubt, dass etwas passiert sein könnte oder passieren wird können. Wie konkret Trump von dieser Strategie profitiert, sieht man am Beispiel der kürzlichen Ausrufung des Notstands. Denn selbst von seinen Hardcore-Anhängern wird kaum jemand glauben, dass an der Grenze zu Mexiko tatsächlich jene Verhältnisse herrschen, die diesen rechtfertigen würden. Das aber ist eben auch gar nicht wichtig. Wichtig ist viel eher, dass sie sich gut vorstellen können, dass es diese geben könnte.

Und zumindest dem Grundsatz nach ist es diese Literarisierung des Politischen, die nun auch von all jenen Demokraten betrieben wird, die Cohen schon deshalb als glaubwürdig verbuchen, weil sie sich gut vorstellen können, dass all das stimmt, was er sagt. Doch gerade mit dieser Sehnsucht nach Eindeutigkeit verunklaren sie die Verhältnisse weiter, sodass Michael Cohen zum Trickster zweiter Ordnung wird. Bedienen sich die Demokraten, wenn auch womöglich ungewollt, damit Trumps eigener Logik, besteht die dialektische Pointe dieser Anhörung in der Einsicht: Gäbe es Michael Cohen nicht, Trump müsste ihn erfinden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.