Depressive Hauptstadtkinder: Ignoranz, die krankmacht

In Berlin leiden mehr Kinder unter psychischen Erkrankungen als anderswo, zeigt eine Krankenkassenstudie. Kein Wunder: Die HelferInnen sind überlastet.

Protestierende JugendamtsmitarbeiterInnen in Berlin, Februar 2019 Foto: dpa

Berliner Kinder und Jugendliche sind depressiver und kränker als ihre AltersgenossInnen in anderen Bundesländern. Das hat eine Auswertung der drittgrößten deutschen Krankenkasse DAK-­Gesundheit ergeben, die am Dienstag vorgestellt wurde. Demnach liegt beispielsweise der Anteil der diagnostizierten Depressionen um 10 Prozent höher als in anderen deutschen Großstädten und 28 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Insgesamt sei nahezu jedeR zehnte ­Minderjährige von psychischen Erkrankungen betroffen.

Ist ja kein Wunder in dieser Wahnsinnsstadt, werden Sie sagen. Auch die Zahlen für psychische Erkrankungen bei Erwachsenen sind kaum irgendwo so hoch wie in Berlin. Macht halt depressiv, die Großstadt.

Das könnte man jetzt so hinnehmen wie zu volle U-Bahnen. Man könnte sich auch darüber aufregen wie über steigende Mieten. Oder, stellen wir uns das mal vor, man könnte die Stellen, die schon bei Kindern und Jugendlichen versuchen, psychischen Erkrankungen und Auffälligkeiten entgegenzuwirken, ausreichend ausstatten. Die sozialpädagogischen Dienste der Jugendämter sind da ein hervorragendes Beispiel.

Überlastet, mies bezahlt

Die dort beschäftigten SozialarbeiterInnen sind Anlaufstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche und sollen helfen, Krisen zu bewältigen und ihnen vorzubeugen. Das ist übrigens ein Rechtsanspruch, der sich aus dem Sozialgesetzbuch ergibt.

Dass diese SozialarbeiterInnen völlig überlastet und zudem noch so schlecht bezahlt sind, dass die Jugendämter kaum Personal finden, ist ein alter Hut. Schon vor sechs Jahren hängten Jugendamtsangestellte weiße Bettlaken als Zeichen der Kapitulation in ihre Fenster. Schon damals betreuten viele MitarbeiterInnen der Sozialpädagogischen Dienste doppelt so viele Fälle, wie sie eigentlich bewältigen konnten. Schon damals war gerade genug Zeit, die akutesten Krisen zu bewältigen, die Vorbeugung blieb regelmäßig auf der Strecke.

Auch am gestrigen Dienstag, dem Tag, an dem die DAK ihre Auswertung zur psy­chischen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen vorstellte, gingen laut Bildungsgewerkschaft GEW etwa 350 SozialarbeiterInnen der Jugendämter und Jugendfreizeiteinrichtungen auf die Straße. Sie demonstrierten für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen. Mal wieder.

Eine Statistik mehr, ein Streik mehr: Die Umstände werden nicht weniger dramatisch, weil wir uns daran gewöhnen.

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