Variationen des HiFi-Test-Sounds

Das Monom, ein kleiner Raum im Funkhaus in Oberschöneweide, ist Berlins Zentrum für räumlichen Klang, und wer dort aus Anlass des CTM auftritt, sollte das Monom spielen können

Die Cellistin im Kammermusikensemble von Yair Elazar Glotman and Mats Erlandsson Foto: R. Owsnitzki

Von Steffen Greiner

Das Auftaktkonzert im Monom, einem kleinen Raum im Funkhaus, der sich als Berlins Zentrum für räumlichen Klang versteht, ist eine Sozialstudie. Da stehen eher wenige als viele Menschen in einem abgedunkelten Doppelquadrat aus Klangsäulen und suchen unbefriedigt eine Bühne, ein DJ-Pult, dem sie sich zuwenden können. Ein Showmaster bittet, Handys auszuschalten, Flaschen nicht abzustellen und überhaupt Geräusche zu minimieren, um das über die einzigartige Anlage Gehörte nicht zu beeinträchtigen. Dann beginnt die Musik und unter den Zuschauer*innen eine gewisse Ratlosigkeit: Erst stehen alle da und gucken auf den Boden, dann setzt Bewegung ein; Menschen laufen im Kreis und kreuz und quer, versuchen, in die Mitte zu gelangen, wo alle Klangkörper gleich weit entfernt sind, versuchen zu ergründen, wie sich der Sound verändert, je nach Position, man schaut introspektiv oder entdeckerisch. Manche setzen sich bald auf den Gitterboden und versuchen, im Klang zu versinken. Manche wippen. Viele fangen auch einfach an, sich wieder zu unterhalten, bis Tiernan Cross’ Komposition „Schema“ abebbt und die Neonröhren wieder anspringen.

Das CTM-Festival hat ein Problem, das „Adventurous Music“ heißt. Die bewegt sich heute in weiten Teilen in dem Modus, in dem die Rockmusik sich in den Siebzigern bewegte, zumindest hinterlassen die letzten Ausgaben des Festivals diesen Eindruck. Das CTM ist im Grunde ein Progressive-Rock-Festival für Electro-Nerds. Prog-Rock, das war der Versuch der erwachsen werdenden Gitarrenmusik, sich künstlerisch auf Augenhöhe zur E-Musik zu bewegen. Prog-Rock-Bands spielten humorfreie Versionen klassischer Stücke, nahmen Rock-Opern auf oder arrangierten ihre Stücke für die Version mit den Londoner Symphonikern. So weit ist es noch nicht beim CTM. Aber zwischen Hochkultur-Sehnsucht und übersteigertem Selbstbewusstsein der Szene lässt sich heute fast kein Drone anders denken denn als zeitgenössische Version eifrig phallischer Gitarre-Drum-Duelle.

Beweis: Die Highlights sind Gimmicks. Im letzten Jahr war das große gemeinsame Moment eine Gabber-Revival-Party zum 25. Jubiläum des Extremstils, in diesem Jahr ist der Aufreger eine nicht so richtig glatte Kunsteisfläche in der Halle am Berghain, das Festival entschuldigt sich bei allen Schlittschuhenthusiast*innen: Es sei doch bloß ein Ausbrechen aus der Schwere. Sehr sympathisch, aber Nostalgie und Novelty haben Jethro Tull oder Grobschnitt auch nicht vor dem Fegefeuer der Musikgeschichte bewahrt. Der Laser-Reifen bei Lotic ist auch nichts anderes als ein einbeinig gespieltes Querflötensolo.

Beweis: Technik schlägt Ästhetik, das Handwerk setzt Impulse. Der 4-D-Sound des Monom, das müssen dann doch alle einmal hören. 16 Klangsäulen in einem post-industriellen Setting sollen hier ganz neue Hörerlebnisse bescheren, eine Qualität, die offenkundig überwiegend weiße Männer beherrschen. Von einer Cellistin im Kammermusikensemble von Yair Elazar Glotman and Mats Erlandsson abgesehen, fand sich in drei Tagen CTM-Programm in Oberschöneweide mit der Kopenhagener Soundkünstlerin Sofie Birch nur eine Frau unter den Auftretenden. Glotman und Erlandsson entfernten sich vom Laptopsound und spielten mit dem Klang entwurzelter Hausmusik, mit elektrischen Verfremdungen, die feine Dissonanzen in den Sound streuten. Das Hirn flutet sich mit dronigen Streichern und Bläsern und kommt dadurch zwar nicht zur Katharsis, aber doch zu einer unerwarteten Ruhe.

Das Hirn flutet sich mit dronigen Streichern und Bläsern

Das Besondere am Soundsystem ist, dass es selbst als das Instrument verstanden werden muss, das die Auftretenden meistern müssen – in einem experimentellen Frühstadium. Spatial Sound, Klang als Raumkunst, das ist kein post-postmoderner Entwurf, sondern rekurriert auf die antike Vorstellung, Musik und Architektur seien verwandt. Schon in der Renaissance wird der Ort der Aufführung in die Komposition mit aufgenommen. Im Monom muss die Position jedes Lautsprechers bewusst eingesetzt werden. Großartig funktionierte das vor allem bei Drew McDowell, der einen verstörend kreiselnden Mindfuck kredenzte, der jedoch nie über die Schmerzgrenze ging. Mit seinem Choral-inspirierten Finale nach 50 Minuten schloss er nicht nur an seine Arbeit mit den mit sakralen Sounds experimentierenden kanonischen Post-Industrial-Gruppen Psychic TV und Coil in den Achtzigern an, sondern auch an die Ursprünge der Musik als Raumkunst im Religiösen.

Der australische Klangkünstler Tiernan Cross, der die drei CTM-Tage im Monom eröffnete, legte zu „Schema“ ein umfangreiches Essay vor, in dem er eine Suchbewegung hin zum ‚post-biologischen‘ Komponisten vollzieht. Neue Verschränkungen von KI und Hirn, Mensch und Objekt, Kybernetik und das Internet als Organismus: Man könnte vorfreudig sein, auf das da kommt. Vielleicht steht er am Anfang spektakulärer Forschungsreisen in Raum und Klang, an deren Ende eine neue Musik entstehen könnte. Heute, im Monom, klang es nach verfremdeten Field-Recordings, Geraschel und Samples, immer wieder technisch spektakulär, wenn man etwa plötzlich ganz klein zwischen den Klaviertasten steht. Aber immer drängte sich in diesen Tagen auch der Eindruck auf, bloß einer progressiven Version eines HiFi-Test-Sounds zu lauschen.