Scannen von Nummernschildern: „Nutzloses Sicherheitstheater“

Kfz-Kennzeichen automatisch abzugleichen ist teils verfassungswidrig. Drei Bundesländer müssen jetzt ihr Gesetz anpassen.

ein auto im schnee

Nummernschild versteckt unter Schnee: auch ein Weg, unerkannt zu fahren Foto: Tobias Hase/dpa

FREIBURG taz | Der automatische Abgleich von Auto-Nummernschildern mit Fahndungsdateien ist doch ein Grundrechtseingriff. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und korrigierte ein eigenes Urteil von 2008. Die Landespolizeigesetze in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen müssen nun punktuell nachgebessert werden.

Das Gericht setzte sich vor allem mit dem bayerischen Gesetz auseinander. In Bayern bestehen 22 stationäre Anlagen zum Kennzeichen-Abgleich (vor allem an Autobahnen) und drei fahrende Systeme, die pro Jahr viele Millionen Nummernschilder scannen. Dabei werden die Nummernschilder abfotografiert, von einer Software in digitale Informationen übersetzt und mit Fahndungsdateien abgeglichen. Wenn kein Treffer vorliegt, wird die Information sofort gelöscht.

Allerdings arbeitet die Software fehlerhaft und kann wohl die Zahlen O und 1 nicht von den Buchstaben O und I unterscheiden. Deshalb muss jeder „Treffer“ von einem Polizisten kontrolliert werden. Über 90 Prozent der Treffer entpuppen sich dabei als „unechte Treffer“ und werden ebenfalls sofort wieder gelöscht. Mit den echten Treffern werden vor allem Fahrzeuge erkannt, deren Halter die Versicherung nicht bezahlt haben.

Anlass war eine Klage des Informatikers Benjamin Erhart gegen den Kfz-Kennzeichenabgleich in Bayern. Es handele sich um „nutzloses Sicherheitstheater“, das aber geeignet sei, die Bevölkerung einzuschüchtern. Er klagte sich durch die Instanzen, bisher ohne Erfolg. Da er nicht in Fahndungsdateien registriert sei, liege kein Eingriff in Grundrechte vor, so das Bundesverwaltungsgericht, nicht einmal bei „unechten Treffern“. Tatsächlich hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2008 entschieden, dass nur im Fall eines Treffers ein Eingriff vorliege.

Staatlicher Eingriff in informelle Selbstbestimmung

Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts nun mit fünf zu zwei Richterstimmen korrigiert. Es handele sich schon bei der Erfassung der Nummernschilder und erst recht beim Abgleich mit Fahndungsdateien um die Verarbeitung personenbezogener Daten und damit um einen staatlichen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.

Die Folge: Zur Rechtfertigung des Eingriffs ist ein Gesetz erforderlich, das verhältnismäßig sein muss – was wiederum vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert wird. Diese neue Definition des Eingriffs hat auch Folgen für Maßnahmen der Gesichtserkennung.

Hauptanwendungsfall des Kfz-Kennzeichenabgleichs ist in Bayern die im Polizeiaufgabengesetz (PAG) geregelte Schleierfahndung. Die Richter akzeptierten die Schleier­fahndung, die anlasslose Kontrollen mit Grenzbezug erlaubt, grundsätzlich. Sie sei gerechtfertigt, weil der Staat bei fehlenden Grenzkontrollen auf ein wirksames Kontrollinstrument verzichtet habe.

Die Richter halten die Schleierfahndung sowohl in einem 30-Kilometer-Korridor an der Grenze für zulässig als auch beispielsweise an Flughäfen. Zu unbestimmt sei aber die Erlaubnis zur Schleierfahndung an „Durchgangsstraßen“. Hier muss der Bayerische Landtag nachbessern.

Regelung zur Schleierfahndung nachbessern

Auch mit Blick auf EU-rechtliche Anforderungen erklärte Karlsruhe die Schleierfahndung für verhältnismäßig. Danach muss es klare Regelungen geben, die verhindern, dass anlasslose Kontrollen im Inland die gleiche Intensität wie die alten Grenzkontrollen annehmen. Dem werden deutsche Gesetze bisher nicht gerecht, stellte im Februar 2018 der Verwaltungsgerichtshof Mannheim fest, auf den sich die Verfassungsrichter nun positiv beziehen. Hier dürfte eine der stärksten praktischen Wirkungen des Karlsruher Urteils liegen.

Bayern muss nun die Regelung zur Schleierfahndung bis zum Jahresende im PAG nachbessern. Das Gleiche gilt für eine Handvoll weiterer Detailkritikpunkte der Verfassungsrichter. Auf die jüngst vorgenommene Verschärfung des PAG, das Polizeimaßnahmen wie den Kfz-Kennzeichenabgleich schon bei einer „drohenden Gefahr“ zulässt, gingen die Richter in diesem Urteil noch nicht ein. Sie dürften dies aber eher kritisch sehen, da sie auch nicht jede „konkrete Gefahr“ als Rechtfertigung akzeptierten, sondern nur Gefahren für Leib, Leben und Freiheit von Menschen oder ähnlich wichtige Rechtsgüter.

Auch in den Polizeigesetzen von Baden-Württemberg und Hessen beanstandeten die Richter mehrere Details. Weitere gesetzliche Regelungen zum Kfz-Kennzeichenabgleich gibt es in Niedersachsen und Sachsen. Auch dort muss man sich die Karlsruher Entscheidungen jetzt genau ansehen. Eine Verfassungsklage von Piraten-Politiker Patrick Breyer gegen das Bundespolizeigesetz liegt bereits vor.

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