Deutsche Fußballdisziplin in Usbekistan: Wie man zum Wölfchen wird

In Taschkent hat Dilshod Kariev eine Akademie für den Fußball-Nachwuchs gegründet. Sein Vorbild fand er in Thüringen, sein Idol ist Lothar Matthäus.

Seite eines Busses mit Aufschrift

Der Bus der Fußballakademie – Wölfe inklusive Foto: Felix Lill

TASCHKENT taz | Auf dem im ganzen Land berühmten Jugendsportkomplex, eine etwas in die Jahre gekommenen sowjetischen Anlage im Zentrum von Taschkent, herrschen jetzt andere Sitten. Zwar werden die Leichtathleten auf der Laufbahn, die Schwimmer im Becken und die Tennisspieler auf den Courts ausgebildet wie früher. Aber die Aufschrift am Gebäude hinter dem Hauptplatz mit Tribüne offenbart, sprichwörtlich, eine neue Sprache. Über der Eingangstür, neben der Silhouette eines heulenden Wolfs, prangt in Blockschrift: „Jugend-Fußball Leistungszentrum in Taschkent“.

„Die Wörter versteht hier eigentlich niemand“, sagt Dilshod Kariev gleich zur Begrüßung, lächelt übers ganze Gesicht und gesteht auch seine Nichtkenntnis dieser fremden Sprache. „Aber ich wollte unbedingt, dass wir einen deutschen Namen haben.“ Kariev ist der Gründer dieser neuen Fußballschule, und sehr ernst erklärt er: „Wir befolgen hier das deutsche Modell.“ Trainingsmethoden, Tugenden und Gewohnheiten sollen aus dem Land des viermaligen Weltmeisters kommen. So soll hier, in Usbekistans Hauptstadt, die fußballerische Zukunft Zentralasiens ihren Anfang nehmen.

Im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes liegen Prospekte auf dem Tisch, und Mannschaftsfotos hängen an der Wand. Kariev deutet auf eines, das ein heulendes Tier zeigt. „Wie man zum Wölfchen wird?“, hebt er seine Stimme. Eine hypothetische Frage, Kariev antwortet nämlich sofort selbst: „Ein Wölfchen ist 15 Minuten vorher da. Ein Wölfchen trägt immer seine Uniform. Ein Wölfchen ist zuverlässig. Ein Wölfchen legt sein Handy eine Stunde vor dem Schlafengehen zur Seite. Ein Wölfchen macht seine Hausaufgaben.“

Und wer so etwas sein wolle, ein Wölfchen? Auch darauf gibt es für den 41-jährigen Fußballtrainer Kariev eine klare Antwort: jeder junge Fußballer im Land. Nur wer heute ein Wölfchen sei, könne eines Tages zum Leitwolf werden.

Das ist hier das große Ziel: so gut zu werden wie die besten Fußballer, die es gibt. Für die jungen Usbeken, das weiß Dilshod Kariev genau, heißen die Ikonen Ronaldo, Messi oder Salah. Zu Deutschland fallen ihnen meist nur Namen wie Müller oder Neuer ein sowie manchmal, nun ja, Lewandowski. Aber ein Wölfchen, das lerne man hier auf dem Platz wie in der Kabine, orientiert sich tagein, tagaus am Land von Dilshod Karievs Idol Lothar Matthäus. Den nannte man in seinen großen Jahren ja auch Leitwolf.

30 Euro im Monat

Vor knapp zwei Jahren eröffnete die Fußballschule, 150 Kinder zwischen 5 und 16 Jahren trainieren hier an fünf Tagen in der Woche, um am Wochenende Punktspiele oder Turniere zu gewinnen. Dilshod Kariev, der hauptberuflich ein Reiseunternehmen führt, schlendert über die Sportanlage, über der hier die deutsche Abkürzung JFL für „Jugend-Fußball Leistungs­zen­trum“ thront, dort eine Wolfssil­houet­te zu sehen ist. Auf zwei Plätzen laufen sich Mannschaften warm.

„Ich miete die Felder hier und bezahle die Ausrüstung und die Trainer aus meiner Tasche“, erzählt Dilshod Kariev. „Bald wollen wir ein vollwertiges Internat eröffnen, wir warten noch auf das neue Gelände, das wir dann nutzen wollen. Usbekistan braucht endlich mal ein gutes Nachwuchssystem.“ Pro Kind kostet die Mitgliedschaft umgerechnet 30 Euro im Monat. Nicht billig, aber wer talentiert und mittellos sei, bekomme ein Stipendium. Und immerhin gebe es hier „die beste Ausbildung im ganzen Land“.

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Was Dilshod Kariev seiner Sache so sicher macht? Weil Kinder schon von den etablierten Vereinen abwandern und hierherkommen. Denn Kariev habe sich für seine Akademie die großen Fußballnationen selbst angesehen. In Barcelona absolvierte er in seiner Freizeit einen Lehrgang für die Jugendtrainerlizenz, reiste von dort aus vor allem nach Deutschland, England und Belgien. Der Befund nach seinen Vergleichen: Wer in Zukunft siegen wolle, müsse heute vom deutschen System lernen.

„Der DFB hat ja in den 1990er Jahren sein Ausbildungskonzept zentralisiert. Dort ist wirklich alles durchdacht. Dadurch bekommt jedes Kind taktisch und technisch das Gleiche mitgegeben.“ Was Kariev nicht weniger imponiert: In der Kabine und auf dem Platz herrschen Zucht und Ordnung. „Wenn in Deutschland ein Jugendtrainer ‚Aufgepasst!‘ ruft, dann passen alle auf. In Spanien tanzen immer ein paar Kinder aus der Reihe.“ Deutschland schaffe eine gute Balance aus sauberer Technik und strenger Disziplin.

Vorbild Schlot­heim

Die Ideen für das System der Wölfchen hat Kariev aus der thüringischen Provinz. Auf Umwegen erreichte er das Fußballinternat der Kleinstadt Schlot­heim und war sofort begeistert. Dort zählten Schule, Sport und charakterliche Bildung als jeweils gleich wichtige Teile, zudem erreiche man aus einem begrenzten Einzugsgebiet ein gutes fußballerisches Niveau.

„Genauso wollen wir in Taschkent auch werden“, sagt der Trainer begeistert. Seine Heimatstadt zähle zwar rund 3 Millionen Einwohner, dafür mangele es noch umso mehr an Trainingskultur, obwohl Fußball der beliebteste Sport des Landes ist. „Zweimal pro Jahr kommen Trainer aus Schlot­heim nach Taschkent und kontrollieren, ob wir ihr Konzept richtig befolgen.“

150 Jugendliche trainieren in der Fußballschule Foto: Felix Lill

Kariev sieht rüber zu einem Platz, wo Zwölfjährige Koordinationsübungen machen. „Wölfe hängen sich rein!“, ruft dort der Trainer einem Jungen zu, der den Hüt­chen­par­cours trabend statt sprintend durchläuft. Der Junge nickt ohne zu heulen, er hat wohl verstanden.

Seit Längerem will Usbekistan wenigstens in Asien ein fußballerisches Schwergewicht werden. In den Jugendbereich investiert das Land schon einige Jahre, verzeichnete zuletzt auch Fortschritte. Die nationalen Auswahlteams der U17 und U20 qualifizierten sich in diesem Jahrzehnt je zweimal für Weltmeisterschaften, bei der U23-Asien­meisterschaft im vergangenen Jahr in China holte Usbekistan sogar den Titel. „Asiens schlafender Riese“ wird das bevölkerungsstärkste Land Zentralasiens seitdem auf der Website der Fifa genannt, wenngleich es in der Rangliste des Weltverbands bisher nur für Platz 95 reicht. Usbekistan muss noch aufwachen.

„Wölfe sind doch Rudeltiere“

Bei der aktuell in den Vereinigten Arabischen Emiraten laufenden Asienmeisterschaft legten die Usbeken zum Auftakt einen 2:1-Sieg gegen Oman und ein 4:0 gegen den Nachbarn Turkmenistan hin und haben die K.o.-Runde vorzeitig erreicht. „Wir werden zwar immer besser“, sagt Dilshod Kariev, „aber wir werden auch noch ein paar Jahre brauchen, bis wir wirklich gut sind.“ Die A-Nationalmannschaft spiele bisher zu verschnörkelt, ihr fehle die Zielstrebigkeit.

Dinge, die man im deutschen Biotop von Taschkent natürlich von der Pike auf lerne. In einer dreisprachigen Broschüre, die Eltern den sportlichen und pädagogischen Wert des JFL erklären soll, steht auf Usbekisch, Russisch und Englisch: „Ein Wölfchen hört immer auf seinen Trainer.“ Und ein guter Trainer lehre heutzutage, dass sich der Ball am schnellsten über den Platz bewegt, wenn er direkt weitergepasst wird. Die Spieler Wölfchen zu nennen, sagt Dil­shod Kariev schmunzelnd, hat ihm allerdings keiner der Berater aus Schlot­heim vorgeschlagen. Das sei seine eigene Idee gewesen. „Wölfe sind doch Rudeltiere, denen ist die Mannschaft wichtig. Und weil die Jungs noch in der Ausbildung sind, heißen sie Wölfchen.“

Ob den Heranwachsenden in ihrem auch mal schwierigen Alter so ein Name unangenehm sein könnte? Nein, ein triumphales Heulen sei doch beeindruckend, einschüchternd. Und allen, denen seine Metapher nicht ausreicht, kann Dilshod Kariev auch eine Antwort geben: „Wenn trotzdem Fragen bleiben, gebe ich den Jungs noch einen Grund, warum sie Wölfchen sind: Der Wolf ist das einzige Tier, das nicht im Zirkus auftritt.“ Hier in Taschkent werde nämlich nicht für die Galerie gespielt, sondern für das Ergebnis. Klingt wiederum nach deutschem Einfluss, insbesondere aus Zeiten des Leitwolfs.

Die Reise für diese Recherche wurde mit Mitteln der Public-Affairs-Firma GPRC finanziert.

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