Rassistischer Anschlag in NRW: Hass als Motiv – war es auch Terror?

In Bottrop fährt ein Mann mit einem Pkw in Menschen, offenbar um Migranten zu töten. Es gibt auch Hinweise auch auf eine psychische Erkrankung.

Absperrband der Polizei in Bottrop - Auf dem Boden liegen verbrannte Feuerwerkskörper

Nach dem Anschlag in NRW wird über die Motive des Täters diskutiert Foto: dpa

Noch bleibt manches unklar. Nach der Attacke eines 50-Jährigen mit einem PKW auf mehrere Menschen in Bottrop spricht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) von einer „klaren Absicht des Mannes, Ausländer zu töten“. Das hätten Vernehmungen ergeben. Auch die Polizei teilte mit, sie gehe „derzeit von einem gezielten Anschlag aus, der möglicherweise in der fremdenfeindlichen Einstellung des Fahrers begründet ist“.

Schon bei seiner Festnahme habe sich dieser rassistisch geäußert. Gleichzeit gebe es aber auch Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Wie also ist die Tat bisher einzuordnen?

An Silvester, ab kurz nach Mitternacht, war der 50-Jährige an vier Orten in Bottrop und Essen mit seinem PKW auf Menschen zugesteuert. Dabei verletzte er fünf Personen, eine Frau schwer. Unter den Opfern waren syrische und afghanische Staatsangehörige. Der Mann wurde schließlich in Essen, seinem Wohnort, festgenommen.

NRW-Innenminister Reul sagte, der Täter sei „bewusst in Menschengruppen gefahren, die größtenteils Ausländer waren“. Laut Spiegel erklärte der 50-Jährige in seiner Vernehmung, die vielen Ausländer seien ein Problem für Deutschland, das er lösen wolle. Recklinghausens Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen bestätigte, dass er sich abschätzig über Migranten geäußert habe. Strafrechtlich oder als Rechtsextremist sei der Mann indes bisher nicht bekannt gewesen.

In jedem Fall Hassverbrechen

Zumindest in der Vergangenheit aber sei der Täter in psychologischer Behandlung gewesen, so Zurhausen. Ob die Erkrankung noch anhält, sei unklar. Laut Medienberichten litt der Mann an einer Schizophrenie und war seit Jahren arbeitslos. Vor seiner Tat sei er länger planlos mit dem PKW durch die Gegend gefahren, habe sich dann womöglich spontan zur Tat entschieden.

Für die Einordnung der Tat hängt nun vieles von weiteren Details ab. Was war der konkrete Auslöser für die PKW-Attacken? Wonach suchte der 50-Jährige seine Opfer aus? Gab es Mittäter oder Mitplaner? Geht es also um eine wahnhafte Amoktat – oder um ein zielgerichtetes terroristisches Handeln?

Wissenschaftler sehen beides nicht automatisch miteinander verknüpft: Terroristen seien nicht per se psychisch krank. Dennoch, so betont etwa die forensische Psychiaterin Nahlah Saimah, wiesen sie oft besondere psychische Merkmale auf, wie narzisstische Persönlichkeiten oder eine hohe Kränkbarkeit. Eine Radikalisierung, mit ihrem Schwarz-Weiß-Denken, verspreche hier feste Gewissheiten. Die Terrortat aber richtet sich am Ende auf die Gesellschaft: Mit dem Versuch, dort Radikalisierung und Spaltung zu verursachen.

Auch der Thüringer Soziologe Matthias Quent verweist aktuell darauf, dass sich politische Motive und psychische Erkrankungen nicht ausschließen müssen. Sowohl persönlich motivierte Amoktaten als auch Terrortaten könnten Hassverbrechen sein.

Debatten über Grenzfälle

Schon zuletzt häuften sich mehrere Grenzfälle. So zündete erst im Oktober ein 55-jähriger Syrer im Kölner Hauptbahnhof einen Brandsatz und nahm eine Frau als Geisel. Dabei soll er sich zum IS bekannt haben. Er wurde schließlich von der Polizei überwältigt. Die Bundesanwaltschaft, zuständig für besonders schwere Staatsschutzdelikte, übernahm den Fall – und stieß auch hier auf Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Mitte Dezember gab die Behörde den Fall schließlich an die Staatsanwaltschaft Köln ab: „Die Ermittlungen haben die für ein radikal-islamistisches Motiv des Beschuldigten sprechenden Verdachtsmomente nicht erhärtet.“

Zuvor schon gab es Diskussionen um den Fall Ahmad A.. Der Palästinenser hatte im Juli 2017 in Hamburg einen Mann mit einem Messer getötet und sechs weitere teils schwer verletzt. Er selbst bezeichnete sich als Terrorist und IS-Anhänger. Aber auch der 27-Jährige war zuvor psychisch krank. Ein Gutachten bescheinigte ihm dennoch eine volle Schuldfähigkeit. Die Richter sahen als finales Motiv, dass Ahmad A. so viele Ungläubige wie möglich töten wollte. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auch bei rechtsextremen Taten gab es Debatten. So verletzte im November 2017 ein 56-Jähriger den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein, der für eine liberale Asylpolitik eintritt, mit einem Messer am Hals. Er müsse verdursten, während 200 Flüchtlinge nach Altena kämen, sagte der Angreifer. Das Gericht sah am Ende jedoch ein Spontantat ohne politisches Motiv: Der Täter habe sich in einer Krise befunden, wegen offener Rechnungen sei in seiner Wohnung das Wasser abgestellt worden. Auch habe es keinerlei Planung zu der Tat gegeben. Der Mann erhielt zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung.

Gestritten wird bis heute über den Anschlag am Olympia Einkaufszentrum in München vom Juli 2016. Ein 18-Jähriger erschoss dort neun Menschen, allesamt Migranten, und nahm sich das Leben. Er wurde in der Schule gemobbt, war in psychiatrischer Behandlung – aber er wetterte auch über „ausländische Untermenschen“ und war Bewunderer des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik.

Politiker werten Bottrop als politisch motivierte Tat

Soziologe Matthias Quent, auch Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Thüringen, schrieb auch hier in einem Gutachten, individuelle und politische Motive seien in dem Fall „untrennbar miteinander verschmolzen“. Von einer Terrortat müsse gesprochen werden, weil alle Opfer nur aufgrund ihrer Herkunft erschossen wurden und der Täter „einen pauschalisierenden Hass“ entwickelt hatte. Ein klares Hassverbrechen, so Quent. Behörden ordnen den Fall indes bis heute als Amoktat ein, ausgelöst durch Mobbing.

Relativ schnell klar war dagegen das Motiv im Fall einer PKW-Attacke in Münster vom April 2018. Ein 48-jähriger Deutscher war hier mit einem Kleinlaster in eine Menschengruppe gerast. Drei Personen starben, mehr als 20 wurden verletzt. Anschließend erschoss sich der Fahrer selbst. Der Mann war über Jahre psychisch krank. Die Staatsanwaltschaft wertete seine Tat als erweiterten Suizid – ohne Terrormotiv.

Und Bottrop? War in Münster die Opferauswahl noch rein beliebig, ist es hier anders. Denn in Bottrop handelte der festgenommene 50-Jährige offenbar mit der Absicht, gezielt Migranten zu töten. Daran zumindest lässt NRW-Innenminister Reul bisher keinen Zweifel. Auch Ministerpräsident Armin Laschet ordnet die Tat politisch ein. „Wir stehen zusammen gegen rechte Gewalt“, erklärte der CDU-Mann. „Den Kampf gegen den Hass auf andere Menschen werden wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats engagiert fortsetzen.“

Nicht unwahrscheinlich, dass die Bundesanwaltschaft den Fall demnächst an sich zieht. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach in der Bild-Zeitung von einer „offensichtlich fremdenfeindlich motivierten Amokfahrt in Bottrop“. Diese habe ihn „sehr betroffen gemacht“ und werde „mit Entschiedenheit verfolgt“.

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