Streit um Öffnungszeiten von Praxen: Um acht Uhr abends noch zum Arzt

Es ist Zeit, dass Arztpraxen auch noch bis in den Abend hinein öffnen. Aber die Diskussion darüber wird in harschem Ton geführt.

Stethoskop liegt auf einem Glastisch

Bald länger im Einsatz? Stethoskop im Behandlungszimmer eines Allgemeinmediziners Foto: dpa

Die Supermärkte und Kaufhäuser haben es vorgemacht: Jahrelang tobte der Streit um verlängerte Öffnungszeiten. Aber heute kann sich kaum noch jemand daran erinnern, wie das war, als man am Samstag bis 14 Uhr den Wocheneinkauf erledigt haben musste und werktags mitunter auf Frischmilch verzichtete, weil man es nicht vor 19 Uhr aus dem Büro schaffte. Das ist Geschichte.

Nun sind Arztpraxen keine Supermärkte. Aber die Mediziner müssen sich trotzdem fragen lassen, ob sich nicht was ändern lässt an Sprechzeiten. Die nämlich fallen zum größten Teil in die Arbeitszeiten ihrer Patienten. Das ist eine Entscheidung der Ärzte – die nämlich können die Uhrzeiten ihrer Sprechstunden selbst bestimmen. Während ihrer Arbeitszeit können Berufstätigen Arzttermine nur wahrnehmen, wenn sie dem Chef glaubhaft machen, dass ihre Beschwerden akut sind und keinen Aufschub vertragen oder sich trotz aller Bemühungen kein Arzttermin außerhalb der Bürozeiten ergattern ließe. Der Paragraph 616 BGB, Arbeitsgerichtsurteile und Rechtsberatungen der Gewerkschaften geben dazu Auskunft.

Das Problem mit den Öffnungszeiten betrifft auch Physiotherapeuten und Psychotherapeuten. Gerade Behandlungen, die sich über mehrere Termine hinweg erstrecken, sind problematisch, auch wenn die Arbeitgeber notwendige und nicht verlegbare Behandlungen während der Bürozeit nicht verwehren können. Aber es sorgt für lange Gesichter bei Vorgesetzten, wenn man ihnen beispielsweise eröffnen muss, dass der Psychotherapeut für die Behandlung mit 25 Sitzungen leider nur noch einen allwöchentlichen Termin am Donnerstag um 15 Uhr frei hat, weil die Randzeiten voll sind und der Therapeut oder die Therapeutin nach 19 Uhr grundsätzlich keine Termine macht.

Gegenseitige Vorwürfe

Der Ton der Debatte um flexiblere Öffnungszeiten ist auffällig harsch: Der Vize-Vorstandschef des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Johann-Magnus von Stackelberg, forderte jetzt die niedergelassenen Ärzte zu mehr Öffnungszeiten am Abend und an Samstagen auf, auch weil sich in den Notaufnahmen der Krankenhäuser an Abenden und Wochenenden oftmals Patienten einfinden, die eigentlich in eine Arztpraxis gehören. „Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte“, so Stackelberg. Laut einer Umfrage im Auftrag der GKV bietet nur jede zehnte Arztpraxis Sprechstunden zwischen 19 und 20 Uhr an. Samstags haben nur ein bis zwei Prozent der Praxen am Vormittag geöffnet.

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen bezeichnete die Forderungen Stackelbergs als „Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen“. In den Foren des Ärztenachrichtendienstes (änd) ätzen Mediziner gegen die doch auch sehr beschränkten Öffnungszeiten in den Geschäftsstellen der Krankenkassen und berufen sich etwa auf die beschränkten Sprechstunden auch bei Finanzämtern.

Aber auch wenn es nachdenklich stimmt, dass Mediziner ihre Sprechstundenzeiten mit denen von Behörden vergleichen, so muss man doch fair bleiben: Flexiblere Öffnungszeiten in den Praxen, auch später in den Abend hinein, sind nicht mal eben so allein mit gutem Willen zu stemmen. Ärzte haben Angestellte, die auch wiederum Familie haben und natürlich auch am Abend angemessen bezahlt werden müssten.

Ärzte in gelber Weste?

Der Protestsound der Mediziner gegen flexiblere Öffnungszeiten irritiert dennoch, etwa wenn niedergelassene Mediziner in Foren damit drohen, sich jetzt aus Protest auch gelbe Westen anzuziehen oder in den Generalstreik zu treten, falls irgendwer ernsthaft an ihren Sprechzeiten rüttelt. Schließlich handelt es sich in der Medizin um eine vergleichsweise gut bezahlte Dienstleistung, nach einem sehr teuren, in Deutschland weitgehend unentgeltlich angebotenem Studium. Da wäre eine vernünftige Debatte um flexiblere Öffnungszeiten, die vielleicht an manchen Tagen zwischen 12 und 20 Uhr liegen könnten, durchaus verkraftbar.

Allerdings müssen sich berufstätige PatientInnen auch klarmachen, dass flexiblere Öffnungszeiten Folgen hätten. Laut Urteilen von Arbeitsgerichten müssen sich Patienten möglichst einen Arzttermin geben lassen, der außerhalb ihrer Arbeitszeit liegt. Das kann der oder die Vorgesetzte verlangen. Nur wenn das nicht möglich ist, oder der nächste Termin am Abend nur noch viele Monate im Voraus buchbar ist, kann kurzfristiger eine bezahlte Freistellung von der Arbeit verlangt werden.

Entschuldigung zieht dann nicht mehr

Böten Arztpraxen künftig häufiger Öffnungszeiten bis 20 Uhr oder an Samstagen an, änderte sich diese Szenario. Dann gäbe es für Angestellte keinen Grund mehr für die Entschuldigung in der Firma: „Komme morgen Vormittag erst so gegen zehn oder elf Uhr, muss leider zum Arzt“. Denn, was hieße denn dann noch „muss“? Warum eigentlich ausgerechnet am Vormittag? Warum nicht um halb acht Uhr abends oder am Samstag zum Arzt, geht doch?

Am Ende gibt es vielleicht zwei Gruppen in der Arbeitnehmerschaft. Die einen finden die Auszeit am Vormittag wegen des Arztbesuches ganz praktisch, die andern geraten unter Stress und gehen lieber am Samstag zum Doktor. Das sagt auch etwas über den Job aus. Und den Druck in der Arbeitswelt.

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