Bolivianische Spitzenküche in La Paz: Kilómetro Zero

Im „Gustu“ ist alles lokal – von den Zutaten bis zu den Küchenchefs. Das Restaurant ist Ausdruck eines neuen bolivianischen Selbstbewusstseins.

Mehrere Menschen arbeiten in einer Küche

Hier wird bolivianisch gekocht: Blick in die Küche vom Gustu Foto: dpa

LA PAZ taz | Calacoto gehört zu den mondäneren Stadtvierteln von Boliviens Regierungssitz La Paz. Internationale Organisationen residieren hier, Botschaften, Politiker, gut situierte Unternehmer. Und das Gustu: Ein Luxusrestaurant, 3.279 Meter über dem Meeresspiegel. Höher kann Haute Cuisine kaum kommen.

Von außen betrachtet passt der graue Sichtbetonklotz im Bauhausstil gut in das international anmutende Ambiente von Calacoto, genau wie übrigens auch die Preise. Doch hinter der Fassade sieht es anders aus. „Coca-Cola, Grappa, Whiskey oder Meeresfrüchte werden Sie hier nicht finden“, sagt Restaurant-Managerin Sumaya Prado: „Alle Zutaten sind zu 100 Prozent bolivianisch. Genau wie auch die Einrichtung.“

„Kilómetro Zero“ nennt sich die Philosophie des 2012 eröffneten Gustu. Sie setzt auf lokale Produkte und ausgewählte Produzenten, die fair bezahlt werden. Zurück geht sie auf einen Dänen: Claus Meyer, ein Riesenname in Foodie-Kreisen. Er erfand und popularisierte die brutal lokale „New Nordic Cuisine“ und baute ihr mit dem Noma in Kopenhagen einen Tempel. Es gilt als eines der besten Restaurants der Welt.

Doch das reichte Meyer nicht, sein nächster Plan: Er wollte einem Land den Bezug zu seiner regionalen Küche zurückgeben und suchte sich Bolivien aus, den ärmsten Staat Südamerikas – was, zugegeben, erst mal schwer paternalistisch klingt, aber im Fall des Gustu tatsächlich zu funktionieren scheint. Zum Restaurant gehört eine Stiftung, die ein Netz von Kochschulen unterhält. In Problemstadtteilen wird hier der gastronomische Nachwuchs ausgebildet, lernt, wie traditionelle Gerichte mit modernen Techniken zubereitet werden, auch die Köche aus dem Gustu sind als Lehrer im Einsatz.

Der Sommelier ist ein dänisches Relikt

Zu Meyers Idee gehörte von Anfang an, dass Restaurant nach einer Startphase in lokale Hände zu geben. Fast das gesamte Team wurde vor Ort ausgebildet. Einzig Sommelier Bertil Levin Tøttenborg ist als dänisches Relikt aus der Anfangszeit noch dabei. Die Küche leiten Mauricio López, 28, und Marsia Taha, 29 Jahre alt.

Tahas Mutter stammt aus der Bergarbeiterstadt Oruro, ihr Vater ist Palästinenser, das Kochen lernte sie in Bolivien, Spanien, Dänemark. Spontan, neugierig, begeisterungsfähig ist die junge Frau und passt damit gut ins Gustu-Team, zu dem sie kurz nach der Gründung 2012 stieß. Die Philosophie des Gustu hatte sie „auf Anhieb fasziniert“, sagt Taha.

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Gerade ist sie von einer kulinarischen Recherchereise zurückgekehrt. Viermal im Jahr stehen diese für das junge Küchenteam – der Altersdurchschnitt liegt bei 25 Jahren – an. Ziel ist es, regionale Kochtechniken und Zutaten zu entdecken: Khawi etwa, eine süße Yamswurzel. Die Papa Walusa, eine aromatische, leicht süßliche Kartoffelsorte. Oder Suchi, ein Süßwasserfisch, der in der Amazonasregion in Bambus gegrillt wird. Garen auf heißen Steinen, in mit Holzkohle angewärmter Erde oder das Dämpfen in Bananenblättern sind weitere traditionelle Techniken.

Bolivien ist groß, erstreckt sich über vier verschiedene Klimazonen von den Anden bis zum Amazonas, 36 Ethnien mit eigener Kultur leben hier. So wird etwa die Küche der Aymara aus dem Hochland der Anden von mehr als 600 Kartoffelsorten und dem Fleisch von Lama und Alpaka dominiert, während man etwas tiefer in Cochabamba, einer Quechua-Region, deutlich mehr Reis, Mais, Süßwasserfisch und Rind isst.

Auf 3.300 Metern Höhe kocht Wasser schneller

Mit den Erkenntnissen und Produkten der Reisen geht es ins „Gustu Lab“ im zweiten Stock des Restaurants. Taha und ihr Team feilen an Aromen und suchen die optimale Zubereitungsform – was in La Paz eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Auf 3.300 Metern Höhe liegt der Siedepunkt von Wasser deutlich niedriger, bei unter 90 Grad, und das wirkt sich auch auf die Garzeiten und -prozesse aus. Nicht nur Nudeln brauchen ein paar Minuten länger.

Einige Wochen später wird dann die Speisekarte im Gustu relaunched. Fünfzig neue Produkte kommen im Jahresschnitt hinzu, wie der Amazonasfisch Pescado Amazónico, der mit einer mit Nüssen garnierten Banane und mit Koriander dekoriert auf den Teller kommt. Lama-Tartar mit einem Hauch von Koka-Butter oder Carpaccio vom Alligator gehören hingegen zu den Klassikern des Gustu. Für den aromatischen Kick sorgt dabei das Angebot von mehr als 1.200 verschiedenen Chilisorten. Die Aribibi gu­sano, eine grüne, wurmförmige, leicht transparente Schote, zählt zu Marsia Tahas Favoriten.

Prickelnd auf der Zunge zerläuft das Maracuja-Eis, eine Empfehlung von María Eugenia Apaza. Die 24-Jährige arbeitet im Service des Gustu und stammt aus El Alto, einst Vor-, heute Nachbarort von La Paz und zudem eine der ärmsten und am rasantesten wachsenden Städte der Welt. Gutes Essen hat Apaza bei ihrer Mutter, einer Marktfrau, schätzen gelernt, sich im Gustu vorgestellt und dort ihre Ausbildung absolviert, 30 Monate lang, trotz kleiner Tochter.

Um die kümmerte sich ihre Mutter, denn für María Apaza ist das Restaurant ein Sprungbrett in eine andere Welt. Sie träumt davon, ihre Ausbildung in Spanien und Frankreich zu komplettieren – durchaus realistisch, ist das Gustu doch zur Referenz geworden. Regelmäßig taucht es in einer der diversen Listen der besten 20, 30, 50 Restaurants Lateinamerikas auf.

Pollera, Bombín und lokale Weine

Dass die Bolivianer langsam begreifen, das Eigene zu schätzen, hängt sicherlich auch mit der Wahl von Evo Morales, dem ersten indigenen Präsidenten des Landes, im Jahr 2006 zusammen. Die gesellschaftliche Akzeptanz der indigenen Kultur wächst seitdem, wie die traditionelle Kleidung der bolivianischen Frauen mit Pollera – Faltenrock – und Bombín, einem markanten Bowlerhut, zeigt. Oder die nationalen Weine von den Andenhängen in Tarija.

Die Weine stehen auch im Gustu auf der Karte, neben einem Gin aus der Amazonasregion. Demnächst könnte ein Whisky auf Quinoa-Basis hinzukommen. Für Marsia Taha ein Beleg des kulinarischen Wandels, der vielleicht vom Gustu mit angestoßen wurde, sich aber an vielen Stellen zeigt. „In den Garküchen auf der Straße, in zahlreichen neuen Restaurants – es wird besser gegessen in Bolivien“, sagt die Köchin. „Weshalb dafür erst ein verrückter Däne nach Bolivien kommen muss, ist eine andere Frage“, sagt Managerin Sumaya Prado und lächelt.

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