Kommentar Gewalt und Voyeurismus: Die Jugend ist noch zu retten

Jugendliche in Vechta haben ein Enthauptungsvideo per Whatsapp verschickt. Das heißt nicht, dass sie verrohter sind als vorherige Generationen.

Schüler sitzt mit Handy am Tisch, daneben Schulunterlagen

Ist jetzt einfacher als früher: Verbreitung von Schockbildern per Smartphone Foto: dpa

Zu glauben, die heutige Jugend sei verroht, weil Teenies Enthauptungsvideos über Whatsapp verschicken, ist Quatsch. Kennen Sie noch rotten.com, diese Schock-Website aus den Anfängen des Internets? Dort gab es Fotos von Unfällen, bei denen Menschen die Köpfe abgetrennt wurden oder Ringer, denen die Gedärme aus dem Po hingen. Meine Freundinnen und ich haben uns das angesehen, da waren wir vielleicht 13 Jahre alt. Wir haben uns geekelt und es hat uns fasziniert.

Eine Kollegin erinnert sich mit Schaudern daran zurück, dass sie mit Freunden auf Video „Gesichter des Todes“ geguckt hat, eine Reihe mit echten Todes- und Tierschlachtungsszenen. Ein anderer Kollege stand als Kind in einer Telefonzelle und hat immer wieder eine Nummer gewählt, bei der die Polizei die originale Bandaufnahme eines Kindesentführers hinterlegt hatte, um Zeugen zu finden.

Dass Jugendliche sich schocken und neugierig sind auf Bilder, die von der Norm abweichen, die mit Perversionen und dem Tod zu tun haben, ist normal. Es gehört zum Erwachsenwerden, auch die Dinge des Lebens zu erkunden, die Eltern von ihren Kindern fernhalten wollen.

Das heißt nicht, dass es gut ist, wenn Jugendliche Zugang zu solch verstörenden Bildern wie jenem Enthauptungsvideo haben. Es bedeutet nur, dass sie neugierig sind. Es bedeutet nicht, dass die „heutige Jugend“ mit all dem Internet-Smartphone-Gedöns nicht mehr zu retten ist.

Jugendliche sind unbedacht

Es ist Aufgabe der Eltern und der Schulen, die Jugendlichen bestmöglich zu schützen – und mit ihnen über das zu sprechen, was sie da gesehen haben. Die Jugendlichen müssen begreifen, dass in dem jetzt verbreiteten Enthauptungsvideo ein echter Mensch ermordet wurde.

Und sie müssen verstehen, dass es andere Menschen verletzen kann, wenn sie ein solches Video wahllos in eine Whatsapp-Gruppe schicken. Es ist grausam, dass ausgerechnet eine Schülerin, die aus Syrien geflüchtet war, solch IS-Propagandamaterial sehen musste.

Jugendliche sind unbedacht, sie sind unsicher, wollen sich aufspielen, da gerät manchmal der moralische Kompass aus dem Gleichgewicht. Sie brauchen Vorbilder, keine Vorverurteilungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

War bis Dezember 2022 Redaktionsleiterin der taz nord. Davor Niedersachsen Korrespondentin der taz. Schwerpunkte sind Themen wie Asyl und Integration, Landwirtschaft und Tierschutz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.