Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen: „Offene Konflikte sind gut“

Der Fall Hubertus Knabe sorgt nach wie vor für Wirbel. Stiftungsbeauftragte Marianne Birthler über Aufbruchstimmung und eine neue Leitung.

Eine Frau mit auffälligen Ohrringe

Birthler war jahrelang Bundesbeauftragte der Stasi-Unterlagenbehörde und hilft jetzt der Gedenkstätte Foto: reuters

taz: Frau Birthler, eigentlich sind Sie längst in Rente, doch Ende September hat Sie der Stiftungsrat als Beauftragte an die Gedenkstätte Hohenschönhausen geholt. Seitdem beschäftigen Sie sich mit dem Chaos, das Herr Knabe hinterlassen hat.

Marianne Birthler: Ich würde es nicht Chaos nennen. Es ist eher wie draußen auf der Genslerstraße: eine Baustelle. Ich bin es gewöhnt, dass sich Systeme verändern. Wenn sich in einer Organisation so lange nichts geändert hat wie hier, dann kommt das manchmal etwas schlagartig.

In dieser Umbruchphase sollen Sie nun so etwas wie eine Vertrauensperson für die Mitarbeiter*innen sein. Welches Klima haben Sie vorgefunden?

Das kann ich nicht verallgemeinern, und ohnehin sprechen mit mir vor allem diejenigen, die eine Veränderung wünschen. Als der Stiftungsrat Ende September die Entscheidung getroffen hat, Hubertus Knabe freizustellen, herrschte große Aufregung. Die hat sich mittlerweile gelegt. Ich habe den Eindruck, dass jetzt fast so etwas wie Aufbruchstimmung herrscht: Die neuen Umstände bieten auch Chancen. Dass die rechtliche Situation nach wie vor unklar ist, trägt allerdings immer wieder zur Beunruhigung bei.

Sie meinen damit, dass Herr Knabe derzeit vor Gericht erreichen möchte, bis zur Kündigungsfrist Ende April an seinen Posten zurückzukönnen. Das Urteil wird für den 18. Dezember erwartet. Was würde das für die Mitarbeiter*innen bedeuten?

Solch unklare Situationen sind immer eine Belastung. Das war auch zu spüren, als Herr Knabe vor zwei Wochen hier auftauchte und dann wieder ging. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wünschen sich berechenbare und eben neue Verhältnisse. Jetzt haben sie sich darauf eingestellt, dass nach einer neuen Leitung gesucht wird. Auch wenn ich die rechtliche Situation nicht bis ins letzte Detail einschätzen kann, glaube ich persönlich nicht, dass Herr Knabe zurückkehrt. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wäre ein sich hinziehender Rechtsfall fatal.

Marianne Birthler

70, war über zehn Jahre Bundesbeauftragte der Stasi-Unterlagenbehörde. Im September hat sie der Stiftungsrat als Vertrauensperson an die Gedenkstätte Hohenschönhausen geholt.

Um seine Person hat sich mittlerweile ein politisierter Streit entwickelt. Welche Auswirkungen hat diese Polarisierung auf die SED-Aufarbeitung?

Ich glaube nicht, dass man sich um die Aufarbeitung der SED-Diktatur Sorgen machen muss. Streit gab es immer. Auch Hubertus Knabe war in der Aufarbeitungsszene schon immer umstritten. Seine Personalie hat jetzt allenfalls manchen Konflikt sichtbarer gemacht.

Also ist der derzeitige Streit begrüßenswert?

Ich persönlich finde es immer gut, wenn Konflikte sichtbar werden und bearbeitet werden können. Das kann ja im Grunde nur nützlich sein, auch wenn es wehtut.

Wo sehen Sie abseits der Personalfragen Herausforderungen bei der Gedenkstätte?

Hier gibt es ja keine Revolution. Die Gedenkstätte ist und bleibt ein wichtiger Ort mit großer Anziehungskraft. Natürlich muss sich etwas bei der Arbeitsorganisation ändern, aber davon wird öffentlich vielleicht gar nicht so viel zu spüren sein. Wir haben hochqualifizierte Menschen, die Gruppen führen, zum Teil auch Zeitzeugen. Das wird so bleiben.

Ende September beurlaubt Knabe seinen Stellvertreter Helmut Frauendorfer – mehrere Mitarbeiterinnen werfen ihm sexuelle Belästigung vor. Kurz darauf entlässt der Stiftungsrat auch Knabe. Begründung: Er habe nicht entschieden genug durchgegriffen. Weitere Probleme seiner Führung kommen ans Licht. Einige Beiratsmitglieder fordern die Rückkehr von Knabe: Sie sehen ein politisches Motiv. Knabe geht vor Gericht gegen seine Entlassung vor.

Ende November darf er mit einer einstweiligen Verfügung vorerst zurück. Doch schon nach zwei Stunden muss er den Posten wieder räumen: Der Stiftungsrat hat ihn abberufen, das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet. Vor Gericht will Knabe nun erreichen, dass er bis Ende April auf seinen Posten zurück kann. (jl)

In einem öffentlichem Schrei­ben letzte Woche haben um die 40 Bürgerrechtler*innen und Historiker*innen unter anderem gefordert, diese Zeitzeugen-Führungen müssten bestehen bleiben.

Ja, die sollen unbedingt bestehen bleiben.

Nun gibt es aber auch kritische Stimmen und im Sommer den ein oder anderen Skandal, weil Zeitzeugen in Führungen Werbung für die AfD gemacht hatten.

Ich höre überwiegend von sehr positiven Erfahrungen. Führungen, insbesondere durch Zeitzeugen, sind immer auch subjektiv. Es geht um das Erleben der Menschen zur Zeit ihrer Haft. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, die nicht so scharf trennen zwischen eigenen Ansichten und dem, was von offizieller Seite über die Gedenkstätte zu vermitteln ist. Solche Vorfälle muss man sich ansehen und gegebenenfalls etwas ändern.

Gibt es dahingehend konkrete Schritte?

Der zuständige Bereichsleiter ist derzeit dabei, das Zeitzeugenkonzept weiterzuentwickeln, Fortbildungen zu organisieren, auch Evaluationen zu verstärken. Und er wird mit den Zeitzeugen und Referenten zusammen Standards festlegen und fortschreiben. Das ist eine permanente Aufgabe.

In dem vorhin erwähnten Schreiben fordern die Autor*innen auch, die Amtszeit der neuen Leitung zeitlich zu begrenzen – Herr Knabe stand stolze 18 Jahre an der Spitze der Gedenkstätte. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?

Zeitlich begrenzte Berufungen sind in solchen Positionen ohnehin üblich, und ich finde sie auch sinnvoll. Als Bundesbeauftragte wurde ich damals für fünf Jahre gewählt, dann ein zweites Mal. Für mich war es dann auch gut, zu gehen. Es ist für jede Institution von Vorteil, wenn ab und zu neue Impulse kommen. Bezogen auf Hohenschönhausen wird diese Frage vielleicht diskutiert, wenn die Suche nach einer neuen Leitung beginnt.

Hat diese Suche schon aktiv begonnen?

Die Vorbereitungen dafür laufen, so weit ich weiß. Formal wäre Klaus Lederer [Kultursenator, Die Linke, Anm. d. Red.] für die Personalfindung zuständig, er hat die Aufgabe aber an Monika Grütters [Beauftragte für Kultur und Medien, CDU, Anm. d. Red.] abgegeben. Eine Vorsichtsmaßnahme, damit im Anschluss nicht der Vorwurf kommt, er habe die neue Leitung aus parteipolitischer Motivation ernannt. Frau Grütters wird eine Findungskommission einsetzen, die die Bewerbungen sichtet und anschließend zwei oder drei Personen dem Stiftungsrat vorschlägt, der letztendlich die Entscheidung trifft.

Welche Eigenschaften sollte der oder die Neue denn mitbringen?

Das festzulegen wird Aufgabe der Findungskommission sein. Eine geeignete wissenschaftliche Qualifikation gehört ganz sicher dazu, ebenso wäre Führungserfahrung wichtig – gerade in dieser Institution, in der so viele unterschiedliche Menschen und Gruppen zusammenarbeiten. Es spricht auch einiges dafür, einen Generationswechsel herbeizuführen. Und natürlich muss die Person schon Vertrauen in der Aufarbeitungsszene genießen oder in der Lage sein, sich dieses Vertrauen schnell zu erarbeiten.

Vor dem Hintergrund, dass einige Frauen in den letzten Jahren Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht haben: Sollte besser eine Frau den Posten übernehmen?

Wegen der Vorgeschichte fände ich das natürlich gut, es ist aber kein Muss. Bei gleicher Eignung wird ohnehin einer Frau der Vorzug gegeben. Außerdem: Respekt und Sensibilität im Umgang miteinander – das haben zum Glück auch viele Männer drauf. Da aber auch die Verwaltungsleitung neu besetzt wird, gibt es auch dort Spielräume für einen personellen Neuanfang.

Herr Knabe kommt aus dem Westen. Ist es für Sie wichtig, dass die neue Leitung eine Ost-Biografie mitbringt?

Das halte ich nicht für zwingend erforderlich. Viel wichtiger ist mir, ob jemand Sensibilität dafür mitbringt, dass wir immer noch verschiedene Kulturen in unserem Land haben, je nachdem, ob Menschen aus dem Osten oder Westen kommen. Menschen aus dem Osten mag das leichter fallen. Wenn es Streit um die Aufarbeitung gibt, verläuft dieser aber nicht entlang der früheren Grenze, sondern auch quer dazu.

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