Großer Geschichtenerzähler

Am Montag ist der große italienische Filmemacher Bernardo Bertolucci gestorben. Begonnen hat er als Regieassistent bei Pierre Paolo Pasolini, Welterfolge feierte er mit „Ultimo tango a Parigi“ und „Der letzte Kaiser“

Bernardo Bertolucci während der Dreharbeiten zu dem Film „The Last Emperor“ („Der letzte Kaiser“) Foto: Neal Ulevich/ap

Von Fabian Tietke

Mit dem verwirrten Lächeln dessen, der die Schüchternheit / und die Bitterkeit mit Heiterkeit erträgt // kommst Du zu den erwachsenen Freunden, voller Stolz / bescheiden, brennend stumm, sitzt du / aufmerksam unseren Ironien, unseren Leidenschaften lauschend. / Uns zu imitieren und uns fern zu sein, bereitest Du Dich vor / Dich beinahe Deines festlichen Herzens schämend … / Sie gefällt Dir, diese Welt!“ Diese Zeilen stammen aus dem Gedicht mit dem Titel „An einen Jungen“, das Pier Paolo Pasolini dem jungen Literaten Bernardo Bertolucci 1958 widmet.

Ein Jahr später zog die Familie Pasolini in dasselbe Haus wie die Berto­luccis, zwei Stockwerke tiefer. Bernardo Bertolucci erinnerte sich später: „Ich begann wieder Gedichte zu schreiben, um an der Tür von Pier Paolo klopfen zu können und sie ihm zum Lesen zu geben. […] Im Frühjahr 1961 traf ich Pasolini an der Haustür und er erklärte, dass er einen Film drehen würde. Du hast immer gesagt, dass Du das Kino so magst, sei doch mein Regieassistent.“ Bertolucci wurde nicht nur Regieassistent bei Pasolinis spätneorealistischem „Accatone“, sondern bekam bald seinen ersten eigenen Film: „La commare secca“.

Im folgenden Film, „Prima della rivoluzione“, findet Bertolucci erstmals zu sich selbst. Er adaptiert Stendhals „Die Kartause von Parma“ und verlegt die Handlung in die Gegenwart. Der junge Fabrizio wird inmitten der Spannung zwischen bürgerlichem Elternhaus und kommunistischer Partei erwachsen. Vom Eingangsmonolog Fabrizios an sind die Vorbilder Michelangelo Antonioni und Jean-Luc Godard klar erkennbar – dennoch gelingt es Bertolucci, zu einer eigenen Bildsprache zu finden. Die barocke Bild- und Tonsprache, die er in „Prima della rivoluzione“ (Vor der Revolution“, 1964) für sich entdeckt, sollte ihn weiter begleiten. Von der barocken Formstrenge von „Prima della rivoluzione“ verlagerte Bertolucci später mit „Il conformista“ („Der große Irrtum“, 1970) den Barockbezug auf eine schwülstige Opulenz.

Fast zeitgleich mit dem Eintritt in die kommunistische Partei brach Berto­lucci mit dem sektiererischen, politischen Kino Italiens jener Jahre und entschied sich für die Filmkunst. Aus ihm wird ein ausschweifender Geschichtenerzähler, der die Möglichkeiten europäischer Koproduktionen sichtlich auskostete. Nach „Ultimo tango a Parigi“ („Der letzte Tango in Paris“, 1972) kennt die ganze Welt Bertolucci. Die Inszenierung der gewalttätigen Beziehung zwischen einem Amerikaner mittleren Alters (Marlon Brando) und der jungen Jeanne (Maria Schneider) mit expliziten Sexszenen – und einer Erniedrigung der Schauspielerin am Set – ging in Frankreich durch die Zensur, wurde aber in Italien zunächst nicht freigegeben. Vier Jahre darauf folgt mit „Novecento“ („1900“) der nächste internationale Erfolg – darin erzählt er die Anfänge des 20. Jahrhunderts in Italien anhand der Geschichte zweier Freunde. Anfang der 1980er Jahre verlässt Bertolucci Italien, die Lebensgeschichte des letzten chinesischen Kaisers aber wird ein weiterer Welterfolg („The Last Emperor“, „Der letzte Kaiser“, 1987). Montagmorgen ist Bertolucci in Rom gestorben.