So viel Kritik muss sein: Jens Fischer über „Iota.KI“ vom Jungen Theater Bremen
: Digitale Welt jenseits des Bewusstseins

In hübsch selbst gebastelter Trash-Optik rasen die Figuren durch schwarze Löcher

Es ist die Realität in der Realität in der Realität: Zwei menschlich anmutende Wesen erblicken sich in einer Live-Video-Projektion, gleichzeitig ist ihre Geschichte als Trickfilm auf Papierbahnen, Leinwänden und Tüchern zu sehen – es herrscht Identitätsverwirrung.

Sie beide denken, dass alles noch schlimmer ist als im Film „Matrix“. Sie sind also nicht mal Sklaven in einer hermetischen Traumwelt, sondern als körperlose Bewusstseine nur Simulationen in einem Computerspiel. Dessen Quellcode verantwortet Alpha – wohl Teil eines noch komplexeren Games. Und so weiter. Stichwortgeber ist „Iota.KI“, eine künstliche Intelligenz mit dem eingebildeten Auftrag, existenzialistisch mal radikal aufzuklären.

Die Bühne nutzen Regisseur Nils Voges und seine Medienkunstclique Sputnic als experimentellen Spielplatz für die Ebenen von Wahrnehmung und Darstellung im virtuellen Raum. Ihr Live Animation Cinema gehorcht dabei der ästhetischen Ironie, Digitales mit explizit analogen Mitteln zu gestalten. E-Mails beispielsweise sind gelbe Post-it-Zettel auf einem herumgereichten Pinboard und Hightech-Szenerien entstehen in einer Art Synchronstudio-Nostalgie. Über Overheadprojektoren wird mit Stabpuppen auf Landschaftsfolien der Comic animiert, dessen Geschichte die Sprecher vertonen, gleichzeitig aber auch schauspielen. Statt Masken wie im antiken Theater halten sie sich illuminierte Zeichnungen ihrer Figuren vors Gesicht.

Mit überdeutlicher Artikulation sollen Wirkungsräume entstehen für philosophische Fragestellungen, die der Ausgangssituation entspringen. Etwa die These Kants, Raum und Zeit seien nur Grundformen unserer Wahrnehmung, nicht außerhalb von ihr liegende Gegebenheiten.

Aber nachdem sich die Protagonisten als subintelligente Avatare in einem computergenerierten Multiversum erkannt haben, werden sie plötzlich zu Objekten einer Actionfilm-Dramaturgie – und mutieren zu Helden mit freiem Willen im Kampf gegen die Zeit. In diesem Fall gegen das ausgelöste Herunterfahren ihres Computerspiels, also Ende ihres vorübergehenden Daseins und damit auch dieser Theateraufführung. Für das Leben nach dem Neustart soll fix noch der Auftrag hinterlegt werden, unbedingt der Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Welt zu entkommen.

In hübsch gebastelter Trash-Optik rasen die Figuren durch schwarze Löcher an die Schnittstelle von Soft- und Hardware. Sie gelangen über die erkenntnistheoretischen Grenzen hinaus in eine Welt jenseits des eigenen Bewusstseins. Noch so eine schöne Denkanregung, die im Effekte-Feuerwerk untergeht. Das Ensemble erzeugt mit Multitasking und offen gelegten Mitteln zur Illu­sionsproduktion erzählerisch einen derartigen Sog, dass über die inhaltliche Kurzatmigkeit hinweg gestaunt werden kann. Ein Traum im Traum im Albtraum.

„Iota.KI“, Junges Theater Bremen. Das „Live Animation Cinema“ von Sputnic ist ab 13 Jahren geeignet und läuft noch bis zum 25. Januar im Brauhaus.