Expertin über Partnerschaftsgewalt: „Das Thema ist schambesetzt“

Es gibt zu wenig Aufmerksamkeit für Gewalt gegen Frauen und eine hohe Dunkelziffer, beklagt Katharina Göpner vom Frauenhilfeverband.

Ein Mädchen sitzt vor einer Wand in Hannover, auf der der Schatten einer Hand groß zu sehen ist

Viele Hochrisikofälle werden zu spät erkannt, oft fehlt es an rechtzeitigen Schutzmaßnahmen Foto: dpa

taz: Frau Göpner, sind heterosexuelle Beziehungen für Frauen lebensgefährlich?

Katharina Göpner: Das ist natürlich etwas spitz formuliert. Die Zahlen zeigen vor allem, dass es zu wenig Aufmerksamkeit für das Thema gibt – die letzten Jahre über waren die Zahlen schon ähnlich hoch. Und die Anzahl der versuchten Tötungen von Frauen liegt noch einmal deutlich höher. Deshalb ja, heterosexuelle Beziehungen können für Frauen gefährlich sein. Viele Hochrisikofälle werden zu spät erkannt und es fehlt oft an rechtzeitigen Schutzmaßnahmen.

Viele Frauen melden Gewalt gegen sich gar nicht erst, die Dunkelziffer ist extrem hoch. Warum suchen so viele Frauen keine offizielle Hilfe?

Es gibt verschiedene Gründe, warum Frauen keine Anzeige erstatten. Manche sind abhängig vom Partner. Gewalt gegen Frauen war lange Zeit tabuisiert. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, durch #MeToo und andere Bewegungen ist viel passiert. Trotzdem ist das Thema sehr schambesetzt, weil es die eigene Integrität betrifft, ist es für viele schwer, darüber zu sprechen.

Wie kann man dieses Tabu abbauen?

Durch verschiedene Präventionsmaßnahmen und Kampagnen, um für das Thema Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren. Wir starten gerade eine neue Kampagne „Beziehungen auf Augenhöhe“, speziell für junge Frauen, weil viele schon in ihren ersten Beziehungen zum Beispiel sexualisierte Gewalt erleben. Da muss man sich auch die Frage stellen: Welche Geschlechterrollen sind noch weit verbreitet? Der Einsatz gegen Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Für welche Gruppen von Frauen ist die Gefahr noch besonders groß, Opfer von Gewalt zu werden?

Eine Studie von 2012 hat Frauen mit Behinderung nach ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt. Dabei kam heraus, dass sie deutlich häufiger verschiedene Formen von Gewalt erleben, sexualisierte Gewalt, aber auch körperliche, dass sie zum Beispiel geschlagen werden. Frauen in Geflüchtetenunterkünften sind auch gefährdet, weil diese Orte einfach kein sicherer Ort für Frauen sind und keinen Schutz bieten können – wobei sie nicht nur keinen Schutz bieten, sondern sogar Gewalt fördern.

ist Referentin in der Geschäftsstelle des Bundesverbands Frauen­beratungs­stellen und Frauennotrufe.

Für Opfer von Gewalt ist es oft eine große Hürde, sich Hilfe zu suchen. Wann wenden sich Frauen an die Beratungsstellen?

Der Zeitpunkt, wann sie sich an uns wenden, ist völlig unterschiedlich. Manche Frauen haben in ihrer Kindheit und Jugend, also vor langer Zeit, Gewalt erlebt, andere sind akut von Gewalt betroffen – sexualisierte Gewalt, körperliche Gewalt durch den Partner, aber auch digitale Gewalt, Stalking oder Ähnliches. Oft melden sich aber auch Unterstützer_innen oder Bezugspersonen bei den Beratungstellen, die beste Freundin zum Beispiel. Das nahe soziale Umfeld ist ein ganz wichtiger Anknüpfungspunkt, eine wichtige Ressource für gewaltbetroffene Frauen.

Was kann die Gesellschaft tun, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen?

Franziska Giffey hat angekündigt, das Hilfesystem auszubauen, das ist schon einmal ein ganz wichtiger Punkt. Fachberatungsstellen und Frauenhäuser brauchen mehr Geld und Personal. Wichtig ist auch, dass man zum Beispiel medizinisches oder pädagogisches Personal schult, das Kontakt mit Frauen hat, die von Gewalt betroffen sind. Man muss die Täterarbeit ausbauen für gewalttätige Männer.

Wo setzt man da an?

Die Prävention muss schon im Kindergarten losgehen. Da können die Kinder zum Beispiel lernen, Grenzen zu setzen, Nein zu sagen. Daran kann man mit den Mädchen und Jungen schon arbeiten, es muss weiterhin für das Thema Gewalt gegen Frauen sensibilisiert werden.

Die Kinder sollen außerdem lernen, zwischen – man sagt das so – „guten“ und „schlechten“ Geheimnissen zu unterscheiden. Bei sexualisierter Gewalt in der Kindheit und im Jugendalter ist es oft eine Strategie von Tätern, zu sagen, dass die Kinder das niemandem erzählen dürfen, da ist es ganz wichtig, dass die Kinder den Mund aufmachen und sich öffnen. Und man muss schon früh Angebote schaffen auch für die Kinder, deren Mütter von Gewalt betroffen sind. Die sind automatisch mitbetroffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.