Die Wahrheit: Bomben auf Chemnitz

Die ostdeutsche „Initiative Empathie!“ will im Dämmerlicht der Ereignisse ganz akut gegen Populismus tätige Hilfe leisten.

Tänzerinnen stehen dickt nebeneinander und strecken die Arme in die Luft

Die Chemnitzer, sie müssen dringend erstmal wieder Empathie lernen Foto: dpa

Auf dem Tisch in der Mitte des leeren Büros ist ein Kleinstadtzentrum aufgebaut – aus Streichholzschachteln, Kunststoffdöschen, TicTac-Packungen und was der Mülleimer eines durchschnittlichen Haushalts so alles hergibt. „Das ist“, sagt Thomas Erlitzsch von der neugegründeten „Initiative Empathie!“, „eine typische ostdeutsche Kleinstadt. Hier ein bisschen alter Stadtkern, dort ein bisschen Nachkriegsneubauten, sozialistische DDR-Architektur.“ In der Mitte sitzt ein abgerupfter Kuscheltierkopf – ob Monchichi oder Troll, das lässt sich nicht genau erkennen.

„Ja“, gibt Erlitzsch zu, „das ist Chemnitz. Das da ist das Karl-Marx-Denkmal. Sie kennen das aus dem Fernsehen. Diese scheußlichen Bilder mit Hetzjagden, Hitlergrüßen und Glatzen. Das haben wir hier nicht dargestellt, es geht ja erst mal nur um die Stadt an sich.“

Aber es geht auch um die Menschen in der Stadt. Die „Ini­tiative Empathie!“ (IE!) will diesen Menschen helfen. Den Chemnitzern, aber auch den Menschen in anderen ostdeutschen Städten. Nur zwei Tage nach den Krawallen in Chemnitz haben sich die Macher von IE! zusammengesetzt. Warum ist Ostdeutschland so anfällig für Rassismus und Populismus? Diese Frage stellen sich seit Jahren Soziologen, Psychologen, Politologen. Sie haben dazu viele, aber kaum überzeugende Antworten. Arbeitslosigkeit ist eine davon, dann schlimme Kindheit oder Unterdrückung während der kommunistischen Herrschaft …

„Sind alles Gründe“, sagt Erlitzsch. „Aber nur an der Oberfläche. Wir von IE!, wir wollen tiefer gehen. Ich bin ja selbst aus dem Osten. Wir hatten ja nichts in der DDR, nicht mal Ausländer, na ja, außer vielleicht Kubanern und Vietnamesen. Woher sollten wir da den Umgang mit welchen lernen? Was heute vor allem fehlt, ist die Empathie. Den Ostdeutschen fehlt Empathie, das Mitgefühl. Da kann man noch so viel von Geflüchteten aus Kriegsgebieten lesen und noch so viele Dokus über Flüchtlingslager im Libanon sehen – wenn man daran überhaupt noch glaubt in diesen Aluhüte-Zeiten.“

Umerziehung bringt nichts

Der Ostdeutsche fühlt das alles nicht. Da sind sich die Macher von IE! sicher. Die Empathie fehlt. Und gegen fehlende Empathie hilft, so IE!, auch keine Aufklärung. „Es bringt nichts, die Ostdeutschen, und schon gar nichts, die Sachsen umzuerziehen“, sagt Erlitzsch. „Die sind zu oft umerzogen worden. Zuerst von den Nazis, dann vom Sozialismus, der die Nazis umerzogen hat, dann kam der Mauerfall und der Kapitalismus hat die Sozialisten umerzogen …“ Thomas Erlitzsch schüttelt den Kopf.

IE! will nun per Modellprojekt versuchen, die in den Menschen „verschüttete Empathie“ wieder hervorzulocken. „Letztlich müssen die Menschen die Gründe nacherleben, warum die Flüchtlinge zu uns kommen.“ Der Plan der IE! dazu sieht so aus: Erlitzsch holt einen großen, schwarz bemalten Ball mit angeklebter Zündschnur unter dem Tisch hervor. Dann wirft er ihn auf das Stadtmodell. Häuser fallen um, Pappschachteln werden zerquetscht, der Karl-Marx-Kopf kullert zu Boden. Die „Bombe“ hinterlässt ein Bild der Verwüstung.

„Zunächst einmal werden einzelne sächsische Städte flächendeckend bombardiert“, sagt er, „da setzt dann natürlich erst mal eine Fluchtbewegung ein. Aber die Flüchtenden werden nicht nach Westen gelassen, sondern weiter nach Osten abgedrängt, nach Polen etwa, Tschechien, Ungarn … Da lernt der Ostdeutsche dann: Aha, so fühlt sich also ein syrischer Flüchtender, wenn er auf seiner Flucht auf dem Balkan hängen bleibt.“

Doch, fragen wir, trifft so eine Bombardierung nicht viele Unschuldige? „Selbstverständlich“, gibt Erlitzsch zu. „Sie sehen ja, das mit der Empathie wirkt schon. Krieg trifft immer ganz viele Unschuldige. Das war früher so, das kennen wir ja noch aus den Geschichten der Großeltern, und das ist heute immer noch so. Nur hört niemand den Flüchtenden mehr zu, sonst wüssten wir das. Wir stoßen mit unserem Projekt einen Lernprozess an, der langfristig Empathie erzeugt.“

Langfristig? „Na ja, das geht ja nicht von heute auf morgen. Die ausgebombten Geflüchteten werden natürlich erst mal sauer sein, umso mehr, wenn wir sie nicht nach Westdeutschland lassen. Diese Generation müssen wir aber eh aufgeben. Da kommt dann unsere zweite Projektphase ins Spiel.“

Phase zwei ist die Ansiedelung der Geflüchteten im angrenzenden Ausland. Zunächst erfolgt sie in provisorischen Unterkünften, später werden die Geflüchteten vielleicht nach und nach integriert, mit richtigen Jobs und Wohnungen. „Diese Menschen geben ihre Gefühle und ihr Wissen und auch ihre Demut an ihre Kinder und Kindeskinder weiter. Sie werden sie zu empathischen Demokraten machen. Die kann die Bundesrepublik – in einer dritten Phase – in ein paar Jahrzehnten als Deutschstämmige wieder ins Land holen. Falls die politische Lage das hergibt. Wenn dann natürlich gerade eine Partei regiert, die die Grenzen für Flüchtlinge dicht macht, dann …“ Thomas Erlitzsch zuckt mit den Schultern. „Aber so ist Geschichte halt.“

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