„Soundwatch“-Filmfestival in Berlin: Sittenbild mit Schlitzen

Punkladies, Ost-Underground und Betty Davis: Das Soundwatch Music Film Festival bildet noch bis Ende der Woche fort in Sachen Pop.

Am 13. November ist „Betty: They Say I’m Different“ über Betty Davis zu sehen Foto: Native Voice Films

Nein, das ging für das Boulevardblatt News of the World dann doch zu weit. „Sie haben Löcher in den Socken, Sex im Kopf und ein Vokabular, das dermaßen gespickt ist mit Four-Letter-Words, dass sie kaum etwas anderes sagen. Der Name dieser All-Girl-Punkrock-Band ist so vulgär, dass wir ihn nicht in einer Zeitung für Familien drucken wollen“, schrieb die britische Gazette im Jahr 1977.

Die Rede war von der ersten Punkband des Landes, die ausschließlich aus Frauen bestand und die gerade Furore machte: The Slits. Die Schlitze.

In „Here to Be Heard – The Story of the Slits“, dem ersten Film über diese wegweisende Londoner Band, blättert die damalige Bassistin Tessa Pollitt immer wieder in einem Ordner mit solchen gesammelten Zeitungsartikeln. An ihren Erinnerungsstücken hangelt sich die 2017 fertiggestellte Dokumentation von William E. Badgley entlang, sie besteht darüber hinaus aus Gesprächen mit Bandmitgliedern wie Viv Albertine und Zeitgenossinnen wie Vivien Goldman.

Das Soundwatch Music Film Festival hat am Mittwoch im City Kino Wedding seine zweite Ausgabe mit „Here to Be Heard“ eröffnet – eine sehr gute Wahl. Denn zum einen gehören die Slits eigentlich in jeden vernünftigen Punk-und Postpunkkanon – nur bestimmen über diesen meist die Männer. Zum anderen, das zeigt der Film, hatte die Subkultur für Musikerinnen wie Albertine oder Pollitt – Letztere war bei der Berliner Premiere zugegen – eine vielleicht sogar größere Bedeutung als für die männlichen Kollegen.

Das Soundwatch-Filmfestival geht noch bis Freitag, den 16. November 2018, die Veranstaltungsorte sind das Lichtblick-Kino, das Sputnik am Südstern und das Tschechische Zentrum Berlin. Das gesamte Filmprogramm finden Sie unter facebook.com/pg/SoundWatchBerlin

„Bottom-up“ in die Musikkultur

Punk war für sie anders befreiend, anders enthemmend; er ermöglichte es, wenn auch zunächst nur geduldet, dass sie „bottom-up“ Teil einer Musikkultur wurden.

In diesem Jahr widmet sich das Soundwatch Festival – ins Leben gerufen vom Dokumentarfilmkollektiv filmokratie um Natalie Gravenor und Hans Habiger – in besonderem Maße den Subkulturen und wichtigen Frauenfiguren des Pop. So feierte am Samstag „L7 – Pretend We'reDead“, eine Dokumentation über eine weitere maßgebliche Frauenband Berliner Premiere, es folgen Filme über die Funk- und Soulmusikerin Betty Davis und Folk-Grande Shirley Collins.

News Of The World

„Der Name der Band ist so vulgär, dass wir ihn nicht drucken wollen“

Während dies Namen sind, die Popmusikfans geläufig sein dürften, kann man in anderen Filmen richtig was dazulernen. Zum Beispiel über Rock in der Sowjetunion („Critic“ von Andrei Airapetow scheint die perfekte Ergänzung zu Kirill Serebrennikows „Leto“) und über musikalische Subkulturen in Ungarn vor und nach dem Fall der Mauer („BP Underground: Punk/Hardcore and Hip-Hop“ von Anna Koltay und Eszter Turán).

Filmisch mögen diese Dokus – die oft lowestes Low Budget sind – nicht immer hehren Ansprüchen genügen, auch der Slits-Film gehört bestimmt nicht zur kinematografischen Crème. Das aber ist meist verschmerzbar. Am Donnerstag etwa war mit „Music Is the Art of Time – Slovenian LP Trilogy“ eine Produktion zu sehen, die sich den Debütalben von Buldožer („Pljuni istini u oči“, 1975), Pankrti („Dolgcajt“, 1980) und Laibach („Laibach“, 1985) widmete – drei slowenischen Rock-, Punk- und Avantgardeklassikern.

Auch dieser Film von Igor Zupe und Varja Močnik ist mit einfachen Mitteln gemacht – einen Einblick in die damalige slowenische Szene leistet er in jedem Fall. Vor allem die Geschichte von Buldožer, Frank-Zappa-Nacheiferern aus Ljubljana, ist beeindruckend, während das Laibach-Werk ja schon einigermaßen bekannt ist.

All diese Filme gewichten erfreulicherweise die Rezeption der Popphänomene genauso wie die Bandbiografien, bestenfalls entstehen daraus Sittenbilder. Auch in den noch folgenden Filmen darf man deshalb mehr erwarten als „nur“ Musikgeschichte.

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