Experte zu Colonia Dignidad: „Wir brauchen konsequente Schritte“

Die Bundesregierung hat die Dimension des Problems der deutschen Sektensiedlung in Chile noch immer nicht erfasst, sagt Politikwissenschaftler Jan Stehle.

Ein Stein mit der Aufschrift "Villa Baviera" steht vor einer Palme, im Hintergrund die Bergkette der Anden

Malerisches Antlitz, grausame Vergangenheit: Die ehemalige Colonia Dignidad, heute „Villa Baviera“ Foto: ap

taz: 2017 hat der Deutsche Bundestag einstimmig gefordert, die Verbrechen der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile aufzuarbeiten und den Opfern zu helfen. Am Donnerstag hat der Haushaltsausschuss des Bundestags nun beschlossen, für direkte Hilfsleistungen an Opfer der Sekte 1 Million Euro einzuplanen. Was ist davon zu halten?

Jan Stehle: Ich habe den Eindruck, dass das Auswärtige Amt die Dimension des Problems Colonia Dignidad heute immer noch nicht ausreichend erfasst. Dass nun die Abgeordneten Druck machen und Tatsachen schaffen, ist gut. Eine Unterstützung der Opfer kann jedoch nicht isoliert geschehen, sie muss im Kontext eines vielschichtigen Aufarbeitungsprozesses stehen.

Was sind nötige Voraussetzungen, um ein Hilfskonzept zu erstellen?

Die Beauftragung einer Sachverständigenkommission, eine Erhebung über die Verbrechen durchzuführen, Anhörung von Opfern, wären konsequente Schritte. Um den Opfern zu helfen, muss Klarheit über die Verbrechen bestehen.

Was gehört zur ­weiteren Aufar­beitung dazu und was ist bisher umgesetzt?

Im Bundestagsbeschluss gefordert sind: eine Vertiefung der strafrechtlichen Aufarbeitung, die Aufklärung der Verbrechen und eine historische Aufarbeitung, die Aufklärung des Vermögens der Colonia und die Errichtung eines Gedenk-, Dokumentations- und Lernortes. Hierbei geht es derzeit konkret darum, dass Expert*innen aus Deutschland und Chile einen Entwurf für einen solchen Ort erstellen. Das müssen das Auswärtige Amt und die chilenische Regierung endlich beauftragen.

Jan Stehle ist Politikwissenschaftler am Forschungs- und DokumentationszentrumChile-Lateinamerika (FDCL) in Berlin und steht im engen Kontakt mit Rechtsanwälten und Organisationen der Opfer der Colonia Dignidad

Wie kommt die politische Aufklärung voran?

Angehörige von während der Diktatur in der Colonia Dignidad ermordeten Personen fordern seit Jahrzehnten Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr zugesagt, Chile finanzielle und technische Unterstützung für Ausgrabungen in der Colonia Dignidad zukommen zu lassen. Diese Hilfen wurden meines Wissens bislang nicht auf den Weg gebracht. Auch eine Klärung des durch Verbrechen angehäuften Sektenvermögens steht noch aus. Eine vom Auswärtigen Amt kürzlich beauftragte Studie wurde als geheim eingestuft, die Erkenntnisse können so nicht in den Aufarbeitungsprozess einfließen.

Wie steht es um die juristische Aufarbeitung in Deutschland?

Insbesondere die deutsche Justiz hat bislang bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen versagt. Kürzlich hat das OLG Düsseldorf in skandalöser Weise der Vollstreckung einer chilenischen Haftstrafe gegen einen der Täter, den früheren Sektenarzt, Hartmut Hopp, nicht stattgegeben. Die hiesigen Ermittlungen gegen Hopp und andere sollten nun strukturiert und priorisiert werden.

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