Festivalempfehlung für Berlin: Geschlecht und Maschine

Das interdisziplinäre DICE-Festival rückt Frauen, nicht-binäre und trans Künstler*innen in den Fokus. An verschiedensten Orten in Neukölln.

Born in Flamez ist nach einem feministischen Science-Fiction-Film benannt Foto: Lisanne Schulze

In ihrem „Cyborg-Manifesto“ aus dem Jahr 1985 sprach sich die feministische Autorin Donna Haraway dafür aus, Grenzen zu überwinden – seien es die zwischen Mensch und Maschine oder zwischen den Geschlechtern. Und man kommt schwer umhin, an Haraways Überlegungen zum Revolutionspotential von Cyborgs zu denken, wenn man die Musik von Born in Flamez hört.

Denn das Projekt, das sich nach einem feministischen Science-Fiction-Film benannt hat, entzieht sich Genre- und Gendernormen – und sogar der Zuordnung zur menschlichen Spezies: „Ich bin eine Person, aber das Projekt ist transhuman, denn es entsteht ebenso aus der Arbeit des Computers wie aus meinen Körper“, schreibt uns Born in Flamez in einem Interview per Mail. „Elektronische Musik beinhaltet immer einen Austausch von Mensch und Maschine.“

Born in Flamez eröffnete schon Shows für Stars der experimentellen Elektronik wie Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never, wurde von Performance-Heldin Peaches als „King“ bezeichnet – und ist eine*r der Gäste beim DICE Festival, das in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet.

Wenn nun dieses internationale, interdisziplinäre Fest an drei Tagen Frauen, non-binäre und trans Künst­ler*innen in den Mittelpunkt rückt, ist das nicht nur eine politische, sondern auch eine ganz praktische Entscheidung: Wo schließlich können weibliche Kunstschaffende und Musiker*innen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem verorten, einfach experimentieren – ohne am Plattendeck und überhaupt die Abweichung von der männlichen, weißen Norm zu sein?

DICE Conference + Festival: verschiedene Orte, 1. – 3. 11., Programm:www.dice.berlin

In Neuköllner Locations wie dem historischen Böhmischen Kirchensaal oder dem Club Arkaoda werden neben Konzerte und Partys auch Workshops, Panels und Vorträge stattfinden, die sich mit Themen wie Widerstand in der Türkei und mentaler Gesundheit befassen. Oder den Umgang mit modularen Synthesizern lehren.

Die Musikmanagerin Caoimhe McAlister hat das Festival gemeinsam mit Danielle Kourtesis und Bade Kaya gegründet und kuratiert, viele weitere Unter­stützer*innen komplettieren das Team. Schon im Namen des Festivals drückt sich die Ablehnung alles Starren und Unveränderlichen aus.

„Der Namen DICE kann auf unterschiedliche Weise gelesen werden. Für uns steht der Name für all die Dinge, die sich unserer Kontrolle entziehen und unser Leben beeinflussen, ebenso für die zufälligen Begegnungen und Erfahrungen, die uns formen“, sagt McAlister. „Aber man kann das Ganze auch proaktiver interpretieren: Als Symbol dafür, Chancen wahrzunehmen, es darauf ankommen zu lassen, das Beste aus den Karten zu machen, die du in diesem Spiel bekommen hast.“

Unter den Performenden sind die Spoken-Words-Künstlerin Moor Mother, die auch beim parallel stattfindenden Jazzfest auftritt; interdisziplinär agierende Musiker*innen wie das Duo FAKA aus Südafrika, die griechische Pianistin und Elektronikpionierin Lena Platonos sowie die britische Künstlerin Planningtorock – und eben Born in Flamez.

In den Tracks der im Sommer erschienenen EP „Impossible Love“ dekonstruiert Born in Flamez verschiedenste Spielarten der elektronischen Musik von Techno bis Grime und fügt sie neu zusammen: zu einem perkussiven, manchmal sperrigen, immer hochspannenden Sound, der nicht von dieser Welt zu sein scheint, doch schließlich durch den Einsatz der menschlichen Stimme zu größter Intensität findet.

Jene Utopie der Entgrenzung, die Donna Haraway in ihrem „Cyborg-Manifesto“ entwarf, scheint Born in Flamez – eine Bühnenpersona frei von Alter, Herkunft und Geschlecht – längst zu verkörpern. „Ich finde nicht, dass eine Spezies irgend eine andere übertrumpfen sollte. Aber ich glaube, in gewisser Weise sind die meisten von uns längst transhuman. Schließlich sind die verschiedensten Arten von Prothesen bereits Teile unseres Körpers und Alltags, zum Beispiel Kontaktlinsen, Schrittmacher, Gehhilfen und so weiter“, sagt Born in Flamez.

Schon immer hätten wir in komplexen Abhängigkeitsverhältnissen zu unseren Werkzeugen gelebt. Künstler*innen wie Born in Flamez zeigen, dass es nicht nur Spaß macht, über die Auflösung von Geschlechtern, Rollen und Vorstellungen nachzudenken – sondern auch, dass es gar nicht so schwer ist.

Das Thema Identität, findet Born in Flamez, werde in unserer Zeit zugleich viel zu ernst und nicht ernst genug genommen. Einerseits beschleunige die Fixierung auf Identität den Kapitalismus, fördere somit den Ausverkauf des einzelnen Selbst; „andererseits kämpfen so viele von uns dafür, ernst genommen zu werden.

Wir werden nicht als die Individuen anerkannt, die wir sind oder sogar dafür schikaniert“, sagt Born in Flamez. Solange Menschen dafür umgebracht werden, Geschlechtsidentitäten zu haben, die nicht der Norm entsprechen, sei Identitätspolitik extrem wichtig. „Wenn ich mir eine ideale Post-Gender-Welt vorstelle, gäbe es einerseits eine Million Geschlechter, und gleichzeitig müssten wir nie wieder irgendwo ein Kreuzchen setzen. Niemand würde aufgrund seiner Gender-Identität beurteilt werden.“

Vom DICE-Festival verspricht sich Born in Flamez spannende Tage. „Berlin ist sehr gut darin, utopische Räume zu erschaffen. Ich glaube, dass dieses Festival einen Raum für die verschiedensten queeren Menschen bieten wird“, schreibt Born in Flamez. „Das Line-Up sieht aus, als könnte es die Grundlage für einen interessanten Dialog darüber sein, wie wir eine weniger deprimierende Zukunft gestalten können.“ Und das ist bekanntermaßen dringend nötig.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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