Kolumne Bauernfrühstück: Viele Kreuze im Brandenburger Sand

Immer wieder kracht es im Verkehr, auch in der Kleinstadt sterben dabei Menschen. Doch Empathie ist des Provinzlers Sache nicht.

Ein Motorrad fährt schnell

Wer mannhaft beim Motorradfahren stirbt, dem wird in der Kleinstadt Respekt gezollt Foto: dpa

Uns KleinstädterInnen wird ja ein handfestes Verhältnis zur Realität nachgesagt. Große Gefühle haben wir zwar; aber wen interessieren die schon. Es gilt, das Leben zur Kenntnis zu nehmen und seine mitunter grausamen Ratschlüsse zu verwinden.

Allenthalben hallen die Sirenen von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften durch die uns in der Provinz umgebenden Wälder, weil wieder mal jemand gegen einen Baum gefahren ist. Gerade kürzlich erst ist ein Bekannter auf diese Weise verstorben, ein Mann von fünfzig Jahren, den viele nun schmerzlich vermissen. Von Beileidsbekundungen am Grab bat die Familie Abstand zu nehmen. Wie gesagt: Man versucht klarzukommen.

Immer wieder kracht es. Menschen verletzen, töten einander. Es ist schon erstaunlich, wie wir uns daran gewöhnt haben, dass in unserer Gegend motorisierter Individualverkehr als alternativlos gilt. Wen wundert’s, durch unseren Weiler fährt zum Beispiel nicht nur selten ein Bus, sondern exakt gar keiner. Zum 18. Geburtstag bekommen unsere Kinder die Fahrschule geschenkt; als Eltern möchten wir ihrem Fortgehen hinaus in die Welt auf keinen Fall im Wege stehen.

Wer mannhaft beim Motorradfahren stirbt, dem wird hernach ein Altar errichtet. An meinem Ortsrand wurden im zurückliegenden Sommer zwei neue Holzkreuze in den Brandenburger Sand gerammt. Tag und Nach blinken nun Grablichter im Bankett, die Blumen werden regelmäßig erneuert. Und als letzter Gruß steckt auf jedem Kreuz der leere Helm des Verstorbenen. Es ist ein Jammer.

Zuweilen wenig Empathie

Was dann aber doch verwundert, ist die Klassifizierung in erst- und zweitklassige Opfer. Anfang dieses Jahres wurde an der Kreuzung, die hinüber in die Kreisstadt führt, eine Frau totgefahren. Es war grausam: Ein Lkw hatte sie überfahren und mitgeschleift, die Frau starb vor aller Augen. Sie war noch nicht mal unter der Erde, da entbrannte in der örtlichen Facebook-Gruppe ein so herzloser wie rechthaberischer Streit über folgende Fragen: Was hat eine 59 Jahre alte Frau auf dem Fahrradweg zu suchen? Wie traurig ist jetzt der Lkw-Fahrer? Und was für Idioten sind Radler insgesamt?

Wie gesagt, Empathie ist des Provinzlers Sache mitunter nicht. Aber wir können auch anders. Ein örtliches ADFC-Mitglied lackierte flugs ein Fahrrad mit weißer Farbe und stellte es an der Unfallstelle auf. Zum stillen Gedenken kamen dann doch erfreulich viele, und zwar nicht nur die zugezogenen Holzhaus-Hipster.

Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Und was soll ich sagen? Kürzlich hat irgendjemand auf das laminierte Schild am weißen Rad „Selbst schuld“ geschrieben. Und damit klar ist, wer gemeint ist: „Der Trucker konnte nichts dafür.“ Vier Ausrufezeichen. Der getöteten Frau konnte das nichts mehr antun. Aber auch nur ihr. Am nächsten Tag war die Schmiererei zum Glück wieder weg.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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