Kolumne Minority Report: In der hässlichen Ecke

Es ist mehr als fahrlässig, Rechtsextreme zu umarmen, statt sie zu ächten. Ihre Strukturen gedeihen vor unser aller Augen.

Björn Höcke steht auf einer Bühne und hebt die Arme, davor applaudieren stehend AfD-Mitglieder

Ganz rechts: der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke Foto: arifoto UG/dpa

Wir haben ein Problem. Und mit wir meine ich wir, die wir uns auf einen Minimalkonsens einigen können, und zwar: Nie wieder Faschismus. Nach dem antisemitischen Anschlag vergangene Woche auf eine Synagoge im US-amerikanischen Pittsburgh, bei dem elf Menschen getötet wurden, hören die tragischen Nachrichten aus den USA nicht auf. In der Nacht zum Freitag wurde versucht, sieben Synagogen im New Yorker Stadtteil Williamsburg in Brand zu stecken. Verletzt wurde dieses Mal zum Glück niemand.

Nun ist Amerika sehr weit weg und die gefährliche Rhetorik des US-Präsidenten Trump begünstigt diese Taten halt besonders. Mit diesem Denken ließe sich das Ganze schnell wegwischen – leider ist es nicht so einfach. Auch in Deutschland werden irgendwann die nächsten Wahlen kommen, auch hier haben wir Politiker mit gefährlicher Rhetorik. Vor allem aber geht das Gefahrenpotenzial von einer Gesellschaft aus, die erschreckend tolerant mit menschenfeindlichem Gedankengut umgeht – solange es sich eben „nur“ gegen irgendwelche Minderheiten richtet.

Das ist keine Schwarzmalerei, sondern eine nüchterne Feststellung. Oder glauben Sie etwa, dass es sich in den USA bei der Hälfte aller Wahlberechtigten um Rechtsextreme handelt? Ich glaube das nicht. Trotzdem zeigte sich knapp eine Hälfte bereit für Donald Trump zu stimmen, der mal eine Mauer um das Land bauen, mal auf Flüchtlinge schießen und mal Frauen einfach so zwischen die Beine grapschen will, bloß weil er es kann. Sie gaben ihre Stimme jemandem, der der rechtsextremen Szene so nahe steht, dass er sich kein einziges Mal öffentlich von ihr distanzieren wollte, nicht nach Charlottesville und nicht nach Pittsburgh.

Hat man Trump unterschätzt? Das ist eine ziemlich billige Ausrede. Das wäre in etwa so, als würde in Deutschland jemand in drei Jahren sagen, man habe AfD-Politiker Björn Höcke unterschätzt, obwohl dessen Dresdner Rede zum Holocaust-Mahnmal („Denkmal der Schande“) hinlänglich bekannt ist. Aber es ist zugegeben auch etwas verwirrend, wenn Medien, die sich gerade in der politischen Mitte verorten wollen, plötzlich mit Nazis umgehen, wie mit etwas schrägen, aber eigentlich liebenswürdigen Oberstudienräten.

Ganz normal

So durfte Höcke im vorletzten Spiegel als ganz normaler, geachteter, naturverbundener Politiker mit einer Reporterin im Wald durch gelbes Laub spazieren und wird mit Aussagen zitiert wie: „Hitler war auch nur ein Mensch.“ Gefolgt von: „Ich bin letztlich auch nur ein Mensch.“

Ja, Menschen sind Menschen. Bäume sind Bäume. Aber was will der Spiegel uns eigentlich damit sagen? Dass die AfD auch nur eine Partei ist, und somit regierungsfähig? Es ist mehr als fahrlässig, Rechtsextreme zu umarmen, statt sie zu ächten, sie in die Mitte zu holen, statt in ihrer hässlichen Ecke stehen zu lassen. Gerade jährt sich zum siebten Mal die Selbstenttarnung des NSU.

Der Gerichtsprozess ist zu Ende, aber sind es auch die Strukturen? Nein. Sie gedeihen vor sich hin vor unser aller Augen. Sie rücken langsam in die Mitte und kaum jemand denkt daran eine Grenze zu ziehen. Wir haben ein Problem.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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