Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Die nächste Verfassungsbeschwerde

Das Bündnis NoPAG klagt weiter: Jetzt auch gegen die bundesweit beispiellose Verschärfung der bayrischen „Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“.

Demo-Aufruf vor einem Polizeiwagen

Der Widerstand gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz findet nicht nur im Gerichtssaal statt Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Das Bundesverfassungsgericht soll das verschärfte bayerische Polizeigesetz kippen. Deshalb legt das Bündnis NoPAG mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) jetzt eine Verfassungsbeschwerde ein. „Das Gesetz verstößt gegen zentrale rechtsstaatliche Grundsätze“, sagte der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer bei der Vorstellung der Klage in München.

Der bayerische Landtag hatte das novellierte Polizeiaufgabengesetz (PAG) im Mai 2018 beschlossen. Eigentlich wollte die CSU mit der Verschärfung bei konservativen Wählern punkten. Dann aber gab es unerwartet große Proteste. Höhepunkt war eine Demonstration in München mit über 30.000 Teilnehmern, organisiert vom breiten Bündnis NoPAG, dem unter anderem die Grünen, die FDP und die Linkspartei angehören.

Konkret klagen jetzt zehn Personen, die in München leben oder arbeiten. Mit dabei ist die Journalisten Laura Meschede, die auch für die taz schreibt, drei Anwälte, ein Arzt, und zwei Fußball-Fanaktivisten. Sie alle machen sich Sorgen, weil sie oft mit Extremisten, Kriminellen, Drogenabhängigen und Gewalttätern zu tun haben.

Das Polizeigesetz regelt Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und gilt, bevor etwas passiert ist. Zentraler Kritikpunkt an der Novellierung ist die Absenkung der polizeilichen Eingriffsschwelle. Traditionell kann die Polizei erst bei einer konkreten Gefahr aktiv werden, also wenn der Eintritt des Schadens unmittelbar bevorsteht.

Eine „drohende Gefahr“ wird laut Gesetz angenommen, wenn es „in absehbarer Zeit“ zu einem Angriff auf ein bedeutendes Rechtsgut, wie Leben, Freiheit oder „erhebliche Eigentumspositionen“ kommen kann

Bayern hat die Schwelle aber schon 2017 für einzelne Maßnahmen auf eine „drohende Gefahr“ abgesenkt. 2018 wurde dies auf viele weitere, auch sehr schwerwiegende Maßnahmen ausgeweitet. Möglich sind bei einer drohenden Gefahr jetzt etwa das Abhören von Telefonen, die Online-Durchsuchung von Computern oder der Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten.

Eine „drohende Gefahr“ wird laut Gesetz angenommen, wenn es „in absehbarer Zeit“ zu einem Angriff auf ein bedeutendes Rechtsgut, wie Leben, Freiheit oder „erhebliche Eigentumspositionen“ kommen kann. Für die Annahme einer drohenden Gefahr kann sich die Polizei auf das „individuelle Verhalten einer Person“ berufen oder auf „Vorbereitungshandlungen“ (von wem auch immer), die den Schluss auf ein „seiner Art nach konkretisiertes Geschehen“ zulassen.

Zwei weitere Verfassungsbeschwerden anhängig

„Damit könnte die Polizei zum Beispiel Informationen über die Lieferung einer gefährlichen Chemikalie in den Raum München ausreichen lassen, um massenhaft Personen intensiv zu überwachen, weil sie Kontakte zu islamistischen Kreisen pflegen“, schreibt der Freiburger Privatdozent Matthias Hong in der von der GFF organisierten Klageschrift. Bayern beruft sich bei seiner Schwellenabsenkung zwar auf das BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2016. Doch Hong weist detailliert nach, dass Bayern die Vorgaben aus Karlsruhe nicht eingehalten hat.

Ein zweiter Klagegrund bezieht sich auf den Einsatz von Explosivmitteln wie Panzerfäusten und Handgranaten. Nach der Analyse von Hong soll die Polizei diese Mittel zur Gefahrenabwehr künftig auch dann einsetzen dürfen, wenn „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ auch Unbeteiligte verletzt oder getötet würden.

Ein denkbares Szenario ist etwa der Angriff auf einen bayerischen Weihnachtsmarkt mit einem Lastwagen, wie in Berlin vor zwei Jahren. Wenn ein Polizist zufällig eine Panzerfaust dabei hätte, könnte er den LKW in letzter Sekunde stoppen, auch wenn dabei Umherstehende oder eine Geisel im Fahrerhaus hochgradig gefährdet würden. Hong lehnt die Opferung von Unschuldigen in solchen Fällen jedoch ab, da dies die Menschenwürde verletze. „Leben darf nicht gegen Leben aufgerechnet werden“, heißt es in der Klageschrift. Die Polizei dürfe sich keiner „Kriegslogik“ unterwerfen.

Die Verfassungsbeschwerde soll am Samstag in Karlsruhe eingereicht werden. Beim Bundesverfassungsgericht sind schon zwei weitere Verfassungsbeschwerden gegen das PAG anhängig, unter anderem von Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Dazu kommt ein Antrag auf Normenkontrolle, den die Bundestags-Oppositionsparteien FDP, Linkspartei und Grüne gemeinsam eingereicht haben. Weitere Klagen liegen beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof in München.

Die Klagen könnten aber allesamt ins Leere gehen. Denn nach der bevorstehenden Landtagswahl wird die CSU die bundesweit beispiellose Verschärfung des Polizeigesetzes wohl zurücknehmen müssen – jedenfalls, wenn sie mit einer anderen Partei als der AfD koalieren wird.

Im Polizeialltag nutzt die Polizei vor allem die Strafprozessordnung, die die Aufklärung bereits begangener Straftaten regelt. Das präventive Polizeigesetz eignet sich aber besser für die Symbolpolitik von Landespolitikern, denn es ist ein Landesgesetz.

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