Vox-Dokuserie „Unsere Schule“: Zoom in den Mikrokosmos Schule

Klassenzimmer voller Kameras: Die Dokuserie „Unsere Schule“ zeigt Alltag an einer Gesamtschule – und zwar überraschend einfühlsam.

Schuler der der Ganztagsschule Albert Schweitzer in Aschersleben

Von Kameras begleitet: Schüler*innen der Ganztagsschule Albert Schweitzer in Aschersleben Foto: MG RTL D

„Gucken Sie mal, was ich jetzt hier habe“, sagt Katrin Jelitte und deutet auf ihren Unterarm. „Richtige Gänsehaut“. Jelitte ist Direktorin der Albert-Schweitzer-Gesamtschule in Aschersleben bei Magdeburg. Gerade hat ihr die Mutter des elfjährigen Anthony erzählt, dass ihr Sohn noch nie so gerne in die Schule gegangen sei.

Die Familie ist erst vor ein paar Wochen aus Bayern nach Sachsen-Anhalt gezogen. Für einen Neustart, wie die Mutter sagt, ohne das weiter zu vertiefen. Anthony schaut jetzt verlegen auf den Boden, Jelitte streicht sich über die Arme. Dass die Gänsehaut echt ist, beweist eine an der Decke montierte Kamera mit Megazoom. Dutzende davon sind in der gesamten Schule installiert, angebracht von einem 30-köpfigen Filmteam.

Aus über 7.000 Stunden Material, aufgenommen vor den Sommerferien, ist die Dokumentation „Unsere Schule“ entstanden, die seit Anfang September immer montags auf dem TV-Sender Vox läuft und in der Mediathek TVNow zu finden ist. Klingt nach absurdem Big-Brother-Spin-off, ist aber eine feinfühlige Reportagereihe über den Mikrokosmos Schule. Um die Dreharbeiten an ihrer Schule genehmigen zu können, musste Jelitte vorab das Einverständnis der Eltern abfragen. Die Gesichter einzelner SchülerInnen sind verpixelt.

Jede Episode nimmt andere ProtagonistInnen in den Fokus. In der Pilotfolge geht es um Anthony. Die Kameras fangen ein, wie der Junge seine neue Klasse betritt und in den hinteren Reihen Getuschel auslöst. Im Interview erzählt er von Gewalt, die er an anderen Schulen erfahren musste, und sagt mit für einen Elfjährigen erschreckender Abgeklärtheit: „Und dann fällt dir auf, dass du in der Hölle gelandet bist.“ In der Pause nimmt ihn die quirlige Melina unter ihre Fittiche und erklärt ihm, dass er in der C bei den Champions und den Coolen gelandet sei. Erleichterung bei Anthony: An der Albert-Schweitzer-Gesamtschule läuft endlich alles anders für ihn.

„Unsere Schule“ läuft montags um 20.15 Uhr auf Vox, alle Folgen sind bei TVNow abrufbar.

Die Dialoge zwischen den SchülerInnen wirken in „Unsere Schule“ authentisch. Wenn LehrerInnen ihre Klasse nicht unter Kontrolle haben, wird das nicht ausgeblendet. Die 15-jährige Lisa etwa verweigert neuerdings die Mitarbeit im Englischunterricht. Die MacherInnen verzichten darauf, ihre Antihaltung auf Pubertät und schlechte Erziehung zu schieben, sondern porträtieren sie als komplexe Persönlichkeit, die die Schule schnellstmöglich verlassen will, um unabhängig von den Eltern zu sein.

Kein Tag ohne tröstende Umarmungen

Direktorin Jelitte weiß um Lisas Gemütszustand: Sie wirkt, als kenne sie die Biografien aller 470 SchülerInnen und sorge sich auch außerhalb ihre Arbeitszeit um sie. Ihr Motto „Bindung kommt vor Bildung“ hat auch das restliche Kollegium internalisiert. Kein Tag vergeht ohne tröstende Umarmungen und intensive Gespräche.

Nicht nur die SchülerInnen sprechen vor der Kamera über Mobbing, Druck von Zuhause oder Stress mit der besten Freundin, auch LehrerInnen berichten offenherzig von Selbstzweifeln und Überforderung. Die Probleme bleiben jedoch auf der persönlichen Ebene. Strukturelles wie der Lehrermangel, Herausforderungen mit Integration und Inklusion, sind – zumindest in den ersten Folgen – kein Thema. „Unsere Schule“ will zeigen, dass es überall LehrerInnen gibt, denen das Weiterkommen eines jeden Einzelnen am Herzen liegt. Auch wenn die Albert-Schweitzer-Gesamtschule mit ihrer fast schon familiären Atmosphäre eine (auch durch Kameras hervorgerufene) Ausnahme darstellen mag.

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