US-Linke nach der Finanzkrise: Bye-bye, Occupy

Die Aktivisten von damals sind verschwunden. Und ihre Ideen? Was wurde aus der Bewegung? Eine Spurensuche im Süden Manhattans.

Auf einen Schädel ist 99 Prozent rasiert

„Ich wusste gar nicht, dass das Jubiläum jetzt ansteht“ :Occupy-Protest in New York, Oktober 2011 Foto: dpa

NEW YORK taz | Armut und Reichtum – in vielen US-amerikanischen Großstädten sind das direkte Nachbarn. Besonders vulgär wirkt diese Nähe an dem Ort des ganz großen Geldes, der New Yorker Wall Street. Die verspiegelten Fassaden der mächtigsten Geldinstitute der Welt stehen hier bisweilen so dicht, dass selbst im Hochsommer die Sonne nie den Boden erreicht. Unten, in der täglichen Dunkelheit, sprinten adrette Banker durch die Straßen, auf Bänken und in den Häusernischen hoffen Obdachlose auf Almosen.

So auch am Zuccotti Park, dem nostalgischen Sehnsuchtsort vieler US-Kapitalismuskritiker. Denn auf dem Platz mit viel Beton und wenig Park versammelte sich im Namen der „99 Prozent“ vor knapp sieben Jahren die Occupy-Bewegung. Sie wollte im Nachgang der Finanzkrise, die nebenan an der Wall Street ihren Anfang genommen hatte, gegen die (vermeintliche) Herrschaft des einen Prozents protestieren und sinnbildlich die Rechte der Obdachlosen im Park gegen die Banker verteidigen.

Fast zwei Monate lang hielten Hunderte den Platz besetzt, die Medien berichteten. Bilder von Polizeibeamten, die Protestler mit Pfefferspray attackierten, gingen um die Welt. Mitte November räumten die New Yorker Gesetzeshüter den Zuccotti Park. Die so öffentlichkeitswirksame Bewegung verschwand praktisch von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche – ohne auch nur einen der Auswüchse des Finanzkapitalismus niedergerungen zu haben. Die basisdemokratische Bewegung scheiterte.

Aber warum? Darüber macht sich Occupy-Mitgründer Micah White noch heute Gedanken. An einem Sommertag ist der Aktivistenguru in den Zuccotti-Park gekommen, um Aufstieg und Niedergang der Bewegung zu erklären. „Als wir Occupy ins Leben riefen, hatten die Menschen Angst“, erinnert sich der 36-Jährige, mit kurzen Locken und Kaffeebecher in der Hand. Infolge der Finanzkrise plagten Räumungen und Arbeitslosigkeit das Land. „Und deshalb begannen die Leute, die Praktiken an der Wall Street zu hinterfragen, die die Krise verursacht hatten.“

Das war die Geburtsstunde von Occupy. Schon seit Februar hatte White aus dem kalifornischen Berkeley über die Aktivisten-Website Adbusters Besetzungsaufrufe verschickt. Am 17. September brachten dann Aktivisten den Zuccotti Park im Herzen von Lower Manhattan tatsächlich unter ihre Kontrolle. „Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie das damals hier aussah“, sagt White. „Alles war voller Zelte, es gab Volksküchen und Büchereien.“

Frustrierte Banker und Wissenschaftler

Der Enthusiasmus war groß, ein Bewusstsein für politisches Handeln gab es jedoch kaum. White kommt in Rage, als er sich an die politischen Überzeugungen der Besetzer erinnert. „Es gab diese lächerliche Vorstellung, dass man eine bessere Gesellschaft nur selbst vorleben müsse. Der Rest der Welt würde dann zwangsläufig folgen. Deshalb glaubte auch niemand daran, dass es nötig sei, politische Forderungen zu stellen.“ White selbst hatte vorgeschlagen, eine Reform der Wahlkampffinanzierung zu fordern. Größere Interessengruppen können in den USA praktisch unbegrenzt Wahlkampagnen finanzieren – dagegen sollte sich Occupy wenden, findet White immer noch. Doch nicht einmal diese Minimalforderung übernahm die Bewegung, denn alles musste im Konsens beschlossen werden.

Außerdem habe es ein tiefes Misstrauen gegenüber jenen gegeben, die etwas von Politik und Finanzmarktregulierung verstanden, erzählt White. „Keiner hatte irgendwelches Fachwissen. Und Leute, die Ahnung hatten, wurden einfach ignoriert. Manche Leute nannten das Anti-Eliten-Dogma.“

Micah White, Occupy-Mitgründer

„Es gab diese lächerliche Vorstellung, dass man eine bessere Gesellschaft nur vorleben müsse“

Deshalb zogen sich die Finanzexperten unter den Protestierenden in eigene Gruppen zurück. Zum Beispiel Akshat Tewary (39) aus New Jersey. Der Jurist lief während der Besetzung zufällig am Zuccotti Park vorbei und ließ sich vom Protest anstecken. Statt sich (wie andere Besetzer) in Trommelzirkeln oder Yogagruppen zu engagieren, scharrte Tewary Finanzexperten, frustrierte Banker und Wissenschaftler um sich. Gemeinsam erarbeiteten sie Vorschläge für eine bessere Finanzmarktregulierung. Mehrmals die Woche trafen sich die acht Mitglieder von „Occupy the SEC“ (SEC ist die US-Börsenaufsichtsbehörde) im öffentlich zugänglichen Wolkenkratzer in der 60 Wall Street. Hier sitzt zufälligerweise auch die US-­Zen­tra­le der Deutschen Bank.

„Fünf Monate lang trafen wir uns mit Laptops und Stiften und arbeiteten und arbeiteten“, erzählt Tewary, heute Anwalt für Migrationsrecht. Das Ziel: Ein Kommentar zur Volcker Rule, einem Gesetzesvorhaben, mit dem die Regierung Banken hochspekulative Geschäfte untersagen wollte. Im Februar lieferte Occupy the SEC eine 200 Seiten lange Antwort auf die Volcker Rule, Tewarys Gruppe wurde für kurze Zeit richtig berühmt. Die Aktivisten waren gefragte Interviewpartner und trafen Kongressabgeordnete. Dem kleinen Trupp war es gelungen, eines der kompliziertesten Gesetze der US-Geschichte nicht nur zu analysieren, sondern auch auf hohem Niveau zu kritisieren. Einige ihrer Einwände fanden Eingang in die finale Gesetzgebung. Doch dies sollte der einzige derartige Erfolg der Occupy-Bewegung bleiben. Danach ließ das Interesse nach.

„Wir haben immer mal wieder Kommentare zur Finanzregulierung geschrieben. Am Anfang hatten wir auch noch 200 Medienanfragen zu jedem unserer Statements“, erzählt Tewary. Dann sank die Aufmerksamkeit. „Zu unserer letzten Pressemitteilung hatten wir nur noch eine Anfrage“, sagt er enttäuscht.

Mal wieder ein Protestaufruf

Doch warum ist das Interesse derart abgeebbt? Tewary hat dafür eine unspektakuläre Erklärung. Der Wirtschaft gehe es einfach wieder besser. Doch seit zwei Jahren gebe es noch einen weiteren Grund: Donald Trump. Die Politik des US-Präsidenten sei mit für das Desinteresse vieler Amerikaner an Finanzthemen verantwortlich. „Wenn Kinder von Einwanderern ihren Eltern entrissen werden, wenn es schon wieder einen Amoklauf gibt, scheint das vielen Menschen einfach dringlicher“, mutmaßt Tewary.

Ulrike Herrmann im taz-Pod­cast zum Jahrestag der Lehman-Pleite. Ab Freitagmittag auf www.taz.de/podcast.

Und so halten er und die anderen Aktivisten nur noch unregelmäßig Kontakt per Mail. „Wir haben eben auch noch Jobs und ein Leben“, sagt Tewary. Enttäuscht ist er dennoch. „Unter Trump gibt es wieder Deregulierungen, gerade Minderheiten sind davon getroffen. Die Probleme im Finanzsektor sind so groß wie früher.“ Das Interesse am Thema ist bei ihm nicht erloschen.

Bei Occupy-Gründer Micah White ist das anders. Er schreibt Bücher, der New Yorker nannte ihn einen der „einflussreichsten jungen Denker der heutigen Zeit“, aber die Themen von einst interessieren ihn nicht mehr. Zur Finanzmarktderegulierung unter Trump sagt White: „Ich orien­tie­re mich nicht mehr an diesen politischen Themen.“ Stattdessen will er noch in diesem Jahr eine Online-Akademie für Aktivisten gründen. Das Ziel: eine internationale soziale Bewegung, die im Gegensatz zu Occupy aber auch Mandate und Ämter anstrebt.

Für den 15. September – den Tag, an dem sich die Lehman-Pleite zum zehnten Mal jährt, gibt es auf der Occupy-Webseite zumindest einen Protestaufruf. Die Resonanz in den sozialen Medien ist aber gering.

Auch Akshat Tewary hat für den Stichtag nichts Besonderes geplant: „Ich wusste gar nicht, dass das Jubiläum jetzt ansteht. Da sollten wir vielleicht mal was machen.“ Wirklich motiviert wirkt er dabei aber nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.