Nordkoreas Parade mal anders

Zum 70. Gründungstag verzichtet das Regime Kim Jong Uns darauf, die Raketen vorzuführen

Aus Seoul Fabian Kretschmer

Für das Regime Nordkoreas war es eine höchst ungewöhnliche Geburtstagsfeier – auch wenn die Soldaten anlässlich der Parade zum 70-jährigen Gründungstag wieder mal im perfekten Gleichschritt aufmarschierten und die Slogans gegen „feindliche US-Imperialisten“ immer noch auf einigen Panzern prangten. Bemerkenswert jedoch an diesem Tag: Es wurden weder Interkontinentalraketen noch Atomwaffen gezeigt.

Die Botschaft ist klar: Nordkorea, das seine öffentlichen Festivitäten stets dazu nutzte, militärische Stärke zu demonstrieren, ändert sich. Das Kalkül der Propaganda war es bis dato stets, die internationale Staatengemeinschaft vor einem Militärschlag gegen Nordkorea abzuschrecken und die eigene Bevölkerung zugleich an die Stärke ihres „Geliebten Marschalls“ Kim Jong Un zu erinnern. Dieser stelle das Überleben des kleinen Landes angesichts feindlicher Überlegenheit überhaupt erst sicher. Daher gehörten die Interkontinentalraketen zum festen Arsenal der Militärparaden, wie zuletzt auch am 8. Februar.

An diesem Sonntag jedoch dominierten Aufrufe zur Aufbau der Volkswirtschaft. In einer Rede an die 50.000 jubelnden Zuschauer sprach Kim Yong Nam, Vorsitzender des Obersten Volksversammlung Nordkoreas, von einer bevorstehenden „Ära großen Wohlstands“. Aggressive Seitenhiebe gegen Washington blieben aus.

Den Kurswechsel hatte Machthaber Kim bereits in mehreren Grundsatzreden dieses Jahres angedeutet: den Fokus weg von seiner militärzentrierten Politik auf das materielle Wohlergehen seiner Bevölkerung zu richten. Kim selbst war zwar ebenfalls am Sonntag anwesend, sprach jedoch nicht. Direkt an seiner Seite stand Li Zhanshu, drittmächtigster Parteikader Pekings – eine besänftigende Botschaft an China, das sich angesichts der Annäherung zwischen den USA und Nordkorea um abnehmenden Einfluss sorgte.

Experten sind sich einig, dass das nordkoreanische Regime Washington derzeit keinesfalls provozieren möchte. Nach der rasanten Annäherung in der ersten Jahreshälfte, die in einem öffentlichkeitswirksamen, jedoch substanzlosen Treffen zwischen Kim und Trump im Juni in Singapur gipfelte, ist der Denuklearisierungsprozess ins Stocken geraten. Donald Trump hat laut internen Whistleblowern aus dem Weißen Haus mit falschen Versprechungen über einen unmittelbaren Friedensvertrag mit Nordkorea die Parteikader in Pjöngjang verärgert.

Gleichzeitig hat Kim nach einigen symbolischen Schritten – wie etwa der Schließung einer Raketentestanlage – noch keinen signifikanten Schritt zur Abrüstung unternommen. Die Erwartungen an den dritten innerkoreanischen Gipfel in diesem Jahr, der am 18. September in Pjöngjang beginnt, sind hoch. Nach Vorverhandlungen ließ Südkoreas Delegation letzte Woche wissen, Kim habe versprochen, die Denuklearisierungsverhandlungen noch vor Ende von Trumps Legislaturperiode 2021 abschließen zu wollen.