zwischen den rillen
: Beim Hören wird man hier natürlich high

Catherine Christer Hennix: „Selected Early Keyboard Works“ (Empty/Blank Forms)

Diese Töne fallen unmittelbar hinter die Augen, schleusen sich an der Reflexion vorbei ins Empfinden: „The Well-­Tuned Marimba“ ist ein obskurer Zwilling von Catherine Christer Hennix’Meisterwerk „The Electric Hapsichord“ von 1976: „Die Melodien gehen zu Ende, das Rauschen nie“, beschrieb die Komponistin ihren Klang einmal, und im poststrukturierten Zusammenspiel von rein gestimmter Marimba und Keyboard wird verständlich, wie sie Musik versteht: als anderen Ort, als innere Ruhe.

Der Titel bezieht sich auf La Monte Youngs Basiswerk von US-Minimal-Musik, „The Well-Tuned Piano“, und dieser wiederum auf Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ – er führt damit direkt in Hennix’Referenzuniversum, so wie die Musik direkt in den Zustand psychoaktiven Erlebens führt. Ein Erleben, das die Komponistin, Mathematikerin, Dichterin, Künstlerin, Theoretikerin, Elektronik-Pionierin und Philosophin immer auch politisch aufgeladen hat. Das Stück ist nun erstmals auf Vinyl veröffentlicht.

„Selected Early Keyboard Works“ heißt eine Anthologie ihrer Musik, und sie steht in Verbindung mit einer breiteren Würdigung des Werks von Catherine Christer Hennix, die bis vor Kurzem als vergessene Pionierin der Minimal Music galt, als exotische Randerscheinung in einer männlich dominierten, sehr toten, aber sehr relevanten musikalischen Strömung. Was sich 2017 mit prominenten und umjubelten Auftritten auf dem Berliner Maerzmusik-Festival andeutete, ist nun, rechtzeitig zu Hennix’70. Geburtstag, nicht mehr zu übersehen: Die mittlerweile in Berlin lebende Schwedin ist präsent wie nie zuvor. Parallel zu den „Selected Keyboard Works“ mit Live-Aufnahmen ihres Elektronik-Ensembles The Deontic Miracle aus dem Jahr 1976 erscheinen zwei Bände mit Gedichten und gesammelten Texten zu Mathematik und Philosophie, „Poësy Matters and Other Matters“.

Auch als bildende Künstlerin wird Hennix wiederentdeckt: Mit Ausstellungen in Hongkong und im Stedelijk Museum in Amsterdam. „Traversée du Fantasme“ heißt ihre Schau dort – im Zentrum stehen Installationen, die sich auf das Werk des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan beziehen.

„Hennix’Schaffen geht von leeren Konzepten aus und lässt alle Struktur zusammenbrechen, bis auch Struktur Leere ist, durch die mathematische Strukturen und Möglichkeiten phantasmagorisch schimmern“, erklärt der Dichter Charles Stein, was die Felder ihres Werkes verbindet. Hennix war als Tochter eines Stockholmer Jazzsaxofonisten von Kindheit an mit experimenteller Musik konfrontiert.

Fluxus und Minimal Music

Als Teenagerin entdeckte sie den Computer als Musikinstrument und war an der Entwicklung mehrerer Synthesizer beteiligt – später sollte sie eine Professur für Computer-Science und Mathematik an der Universität in New Paltz im US-Bundesstaat New York erhalten. Als 20-Jährige reiste sie erstmals nach New York, arbeitete dort mit Fluxus-Künstlern und Protagonisten der Minimal Music zusammen, wie La Monte Young und Henry Flynt. Mit Letzterem entwickelte sie eine neue Kunstform, das „Hallucinogetic/Exstatic Sound Environment“: „Die ‚natürlichen Highs‘, die der Hörer empfindet, verlangen nach einer neuen, logisch-mathematischen Struktur“, informierte das Begleitschreiben damals, 1979: Für Hennix ist Musik ein Ventil zur Veränderung der Gesellschaft, ein Ort der Utopie. Young hingegen brachte sie mit dem indischen Raga-Meister Pandit Pran Prah zusammen.

Hennix lässt alle Struktur zusammenbrechen, bis diese Leere ist

Vom Raga ausgehend, lernte sie andere Formen der Instrumenten-Stimmung kennen, die sich teils deutlich von den Tonhöhen der in Europa gebräuchlichen gleichstufigen Stimmung unterscheiden. Historisch werden diese eher in islamischen Gesellschaften verortet, es gibt sie aber auch im japanischen Gagaku-Stil oder in den Polyphonien des spätmittelalterlichen Europa. Die reine Stimmung, die wesentlich feinere Abstufungen und Harmonien erlaubt, aber gleichzeitig größere Genauigkeit erfordert, lässt ihre Musik an den Sounderwartungen vorbeigehen. Sie greift so anders ins Bewusstsein als Musik, die in den üblichen Strukturen und Texturen verbleibt.

Die Unmittelbarkeit ihres Rauschens, die in den vier langen Stücken der Compilation erklingt, ist eine, die erarbeitet werden muss. Hennix’Musik verlangt, die Schönheit der Struktur von Nichtstruktur erfahren zu wollen. „Selected Early Keyboard Works“ sind ein guter Ausgangspunkt. Steffen Greiner