Kolumne Nachbarn: Freiheit für politische Gefangene

Jüngst erinnerten Syrer in Berlin an ihre Liebsten, die in Assads Foltergefängnissen verschollen sind. Auch ich habe einige Menschen dort verloren.

Ein roter Bus mit Fotos von verschleppten Menschen steht vor dem Brandenburger Tor

Frauen erinnern vor dem Brandenburger Tor an ihre verschleppten Männer, Kinder und Freunde Foto: Piero Chiussi

Der rote Bus stand vor dem Brandenburger Tor, einer dieser Busse, die Touristen durch Berlin befördern, um die Stadt zu genießen. Doch diesmal waren die Fahrgäste keine Touristen, und von Genuss keine Rede.

Im Bus saßen der Busfahrer und sieben Frauen mit Fotos ihrer inhaftierten Angehörigen. Außen am Bus klebten andere Bilder von Gefangenen, drumherum hielten Menschen Bilder hoch. Auf einigen sah man ganze Familien, die in den Gefängnissen verschwunden waren. Auf anderen Fotos sah ich Ehemänner frisch verheirateter Frauen sowie junge Frauen und Männer, die entweder mitten im Studium waren oder ihr Studium soeben abgeschlossen hatten. Alle waren sie seit Jahren in syrischen Gefängnissen verschollen. Niemand weiß, wo sie geblieben sind.

Auch ich trug Bilder von Menschen, die mir viel bedeuten und die ich liebe; um mich herum standen Dutzende Deutsche, die sich mit uns solidarisieren. Viel bewirken konnten wir nicht, außer uns gegenseitig zu trösten und unsere Verschollenen beziehungsweise uns selbst zu beweinen. Wir hörten uns an, was die Mütter über das Schicksal ihrer vermissten Söhne und Töchter berichteten, in der Hoffnung, diese würden noch leben und bald freikommen.

Eine der Mütter erzählte: „Fast sechs Jahre ist es her, dass ich in unserem Haus in Damaskus saß und bei gedecktem Tisch auf meinen Mann und meinen Sohn wartete. Ich rief sie noch an, um ihnen zu sagen, sie sollen sich beeilen, bevor das Essen kalt wird. Beide sagten mir, sie wären in dreißig Minuten da. Als die beiden nach längerer Zeit nicht eintrafen, versuchte ich, sie anzurufen und ihnen Nachrichten zu schicken. Bis heute erhielt ich keine Antwort. Doch eines Tages werden sie mir antworten, das weiß ich sicher.“ Sie kämpfte mit den Tränen, ihre Stimme brach.

Eine andere Frau erzählte, dass ihr Vater vor fünf Jahren zur Arbeit gegangen und nie nach Hause zurückgekehrt war. Von einem Arbeitskollegen wisse sie, dass Sicherheitsbeamte an jenem Tag ihr Büro gestürmt und ihren Vater mit verbundenen Augen und in Handschellen abgeführt hatten. Sie hätten ihn ins Auto gezerrt, während er sie schreiend angefleht hätte, sie mögen ihn bitte gehen lassen, er hätte doch nichts getan, wo wollten sie mit ihm hin? Seitdem suche sie ihren Vater.

Es gab eine dritte, vierte, fünfte und viele weitere Geschichten, die ich gehört habe, hier aber aus Platzmangel nicht aufschreiben kann. Sie bleiben in den Herzen der Liebenden archiviert, während die Helden noch in den Gefängnissen des syrischen Regimes sitzen. Jenen grausamen Gefängnissen, die nur die kennen, die schon einmal dort waren, so wie ich.

Freiheit für die Gefangenen und Verschleppten in den Gefängnissen der syrischen Diktatur! Mein Mitgefühl gilt ihren Liebsten und Angehörigen.

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Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  

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