Theater o.N. feiert Wiedereröffnung: „Es waren nicht die Schwaben“

Verdrängung ist nicht nur schwarz und weiß, sagen die Macherinnen vom Theater o.N. in Prenzlauer Berg. Am Samstag wird die Rettung vor der Gentrifizierung gefeiert.

Ein Mann spielt Xylophon

Szene aus dem Theaterstück „Kling kleines Ding“ Foto: Till Budde

taz: Frau Strobel, Frau Markert, eigentlich sollte das Theater o. N. in Prenzlauer Berg im Sommer 2017 geschlossen werden. Jetzt geht es am Samstag hier doch weiter – aber nur für vier Jahre. Ist das für Sie ein Neuanfang oder der Anfang vom Ende?

Vera Strobel: Beides.

Doreen Markert: Wir sind total optimistisch, dass es nach den vier Jahren woanders weitergeht. Und es ist sehr aufregend, über einen neuen, größeren Ort nachzudenken. Wir sind in konkreten Gesprächen. Aber der Satz, das Theater ist gerettet – der stimmt eben nicht. Wir können noch vier Jahre in der Kollwitzstraße bleiben, dann ist das hier zu Ende. Und vier Jahre sind ja nicht viel. Die ganze Situation ist auch ein bisschen trügerisch.

Also beginnt jetzt eine Zwischenphase.

Strobel: Genau. Wir haben noch mal die Zeit bekommen, hier ein paar neue Sachen auszuprobieren, und uns von dem Ort richtig zu verabschieden. Wir mussten nicht so holterdipolter raus.

Doreen Markert

„Letzten Endes haben wir den Schlussstrich gezogen.“

Sie spielen seit 1996 in diesen Räumen. Die Eigentümergemeinschaft hatte ja entschieden, das Theater hier nicht mehr haben zu wollen, vor allem wegen der angeblichen Lärmbelästigung. Waren Sie da enttäuscht?

Markert: Das war bitter. Die Erkenntnis, dass die Hoffnung, die Utopie, die wir versuchen, hier zu leben, offensichtlich nicht geteilt wird. Wir empfinden uns als einen der letzten alternativen Orte in Prenzlauer Berg, und die Verdrängung an die Peripherie, die wird kommen. So geht es vielen.

Strobel: Nur in unserem Fall war das keine klassische Gentrifizierungs-Geschichte: Da sind keine neuen Eigentümer gekommen und haben das alteingesessene Theater rausgeekelt, das sind auch keine Schwaben, die hier wohnen, sondern Berliner. Die Eigentümer sind oft genau so lange hier wie das Theater. Verdrängung, das ist nicht nur Schwarz und Weiß.

Markert: Und letzten Endes haben wir den Schlussstrich gezogen: Wenn wir viel mehr Geld in den Lärmschutz investiert hätten, hätten wir auch einen Vertrag für 15 oder 20 Jahre bekommen. Aber die Räume wären dadurch noch kleiner geworden.

Die Geschichte Das Theater o. N. ist ein freies Theaterensemble mit eigener Spielstätte in der Kollwitzstraße in Prenzlauer Berg. Es geht auf das 1979 gegründete Theater Zinnober zurück, die erste freie Theatergruppe der DDR. Mitglieder aus jener Zeit sind heute noch Teil des Ensembles.

Die Gegenwart Anfang 2017 hatte die Eigentümergemeinschaft des Hauses den Mietvertrag mit dem Theater nicht verlängern wollen. Dank viel Protests und Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur gelang es, weitere fünf Jahre am alten Ort herauszuverhandeln.

Die Wiedereröffnung Am Samstag wird ab 10 Uhr die Rückkehr auf die eigene Bühne mit dem Stück „Kling, kleines Ding“ gefeiert. Abends folgt die „Crazy Night“ mit Musik und Beiträgen des o. N.-Ensembles.

Die Gesprächspartnerinnen Vera Strobel und Doreen Markert leiten mit Dagmar Domrös das Theater. (bis)

Sie haben mehrere Monate um den Mietvertrag gekämpft. Haben Sie sich da allein gelassen gefühlt?

Strobel: Das war unglaublich anstrengend – dieser ganze Prozess, bis der Mietvertrag endlich verlängert war. Man ist ja als Theatermacher überhaupt nicht beschäftigt mit so was.

Kaum einer ist das.

Strobel: Stimmt. Auf eine andere Art hat es das Ensemble als Gruppe enorm zusammen geschweißt. Jeder für sich hat noch mal gemerkt, wie wichtig die Gruppe für ihn ist. Und auch das Theater: Welch Glück es ist, eine eigene Bühne zu besitzen! Das haben ja nicht alle. Der Verdrängungsdruck hat auch viel Positives ausgelöst.

Wer hat das Ensemble beim Kampf gegen den Rauswurf unterstützt?

Markert: Ganz viele Menschen aus der Nachbarschaft – alte und neue Prenzlauer Berger. Unsere langgedienten Ensemble-Mitglieder haben Verbindungen aus Zinnober-Zeiten aktiviert; aber auch die Kinder von der Grundschule hier um die Ecke waren bei unseren Solifreitagen da. Es war enorm, wie viel Unterstützung kam – auch aus dem Haus übrigens. Das ist ja auch eine sehr heterogene Gruppe.

die beiden Macherinnen des Theater o. N. vor der Eingangstür

„Jeder für sich hat noch mal gemerkt, wie wichtig die Gruppe für ihn ist“: Vera Strobel (r.) und Doreen Markert vom Theater o.N. Foto: taz

Strobel: Ich war zugleich überrascht, wie schnell uns Leute abgeschrieben und gar nicht mehr mit einer Rettung gerechnet haben.

Nach dem Motto: Ach, die haben ja überlebt?

Strobel: Genau. Das hören wir heute noch. Und da müssen wir echt noch deutlicher machen, dass das Theater o. N. lebt. Es geht sehr schnell, dass man aus der Wahrnehmung verschwindet. Da heißt es dann: „Ja, die kämpfen zwar noch, aber das ist jetzt halt die Zeit, wo solche Projekte verschwinden.“

Markert: Teil der Zuschauerschaft haben auch gar nicht mitbekommen, dass wir ein Jahr lang auf Wanderschaft waren und an anderen Orten gespielt haben. Für die waren wir weg.

Strobel: Jetzt sind wir aber froh, dass wir wieder hier sind: Das Theater, das ist unser Herzstück. Hier treffen wir 15 uns, hier kommunizieren wir.

Schauspieler reflektieren angeblich ja so viel. Werden Sie diese Geschichte, diese Erfahrungen des letzten Jahres in irgendeiner Form auf die Bühne bringen?

Strobel: Ich glaube nicht, dass wir jetzt ein Stück entwickeln werden, in dem wir ganz konkret auf diese Auseinandersetzung eingehen. Aber das Thema beschäftigt uns als Gruppe sehr und wird hier und da Auswirkungen haben auf die Projekte und Themen, die wir setzen. Vielleicht braucht es auch noch eine Weile, bis wir das begreifen können.

Womit werden Sie eröffnen?

Strobel: „Kling, kleines Ding“, eine Art Klassiker von uns. Das Stück für die Zielgruppe ab 2 Jahren – einer unserer Schwerpunkte – hatte 2011 Premiere, ist viel getourt und sehr beliebt. Es ist eine musikalische Performance, das fanden wir auch ganz sinnvoll.

Sie wollten ein bisschen Krach im Haus machen.

Vera Strobel

„Das Theater, das ist unser Herzstück. Hier treffen wir 15 uns, hier kommunizieren wir.“

Markert (lacht): Ja, aber im positiven Sinn. Wir wollen endlich wieder Klänge in diesen Räumen hören.

Sogar Kultursenator Klaus Lederer (Linke) kommt zur Eröffnung. Welche Rolle hat die Kulturverwaltung gespielt bei der Rettung?

Strobel (lacht): Die Rolle des Retters.

Markert: So würde ich das nicht sagen: Aber sie hat vermittelt zwischen uns und den Eigentümern, das war sehr wichtig, und sie haben den Einbau des Lärmschutzes finanziert.

Die Senatsverwaltung will den Raum nach den vier Jahren für etwas anderes nutzen?

Strobel: Nein, für den Senat war ganz klar: die vier Jahre, die wir noch in den Räumen drin bleiben können, haben einen bestimmten Wert – und der ist auch investiert worden. Das war eine Rechnung.

Auch ein komisches Gefühl, wenn man so als Künstler berechnet wird.

Strobel: Stimmt, aber es geht um öffentliche Gelder – das können wir schon nachvollziehen.

Markert: Wir hatten uns selbst überlegt, was der Raum wert ist, unabhängig davon, woher das Geld letztlich kommt. Und ob wir vertreten können, wenn da noch mal reinvestiert wird.

Sie gehören zu den wenigen Beispielen, die den Kampf gegen Gentrifizierung gewonnen haben – zumindest vorerst. Was raten Sie den vielen anderen in der Stadt, die noch kämpfen?

Strobel: Die Bedingungen, die in unserem Fall galten, lassen sich nur schwer auf andere übertragen. Aber auf jeden Fall: nicht aufgeben, und kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren.

Markert: Und sich den Rückenwind holen: Unsere Solifreitage haben uns so viel gebracht. Weil wir das Gefühl bekamen: Unser Schicksal interessiert auch andere. Es gibt diese Leute, die es wirklich schade fänden, wenn wir nicht mehr da wären; dass es nicht nur um unseren Arbeitsort geht, sondern es gut ist für den Kiez, wenn es hier weiterhin ein Theater gibt.

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