Kolumne Pressschlag: Systemversagen mit System

Schon am 1. Spieltag der Bundesliga wird der Videobeweis zur Groteske. Noch schlimmer: Im Keller des DFB waltet ein Willkürregime.

Ein Schiedsrichter schaut auf einen Bildschirm

Schon in der Saison 2017/18 war der Videobeweis umstritten, auch in der Saison 2018/19 bleibt er es Foto: dpa

Nein, wir dürfen die guten alten Verschwörungstheorien nicht den Rechten überlassen, den Hirnvernebelten und GeifererInnen. Es soll hier nicht um die Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel gehen, mit denen wir chemisch betäubt werden, nicht um Merkels islamische Umvolkung, die erfundene Mondlandung oder den Klassiker: die Herrschaft des weltweiten Judentums.

Der Videobeweis sei unser Thema. Was ist schon Politik gegen Fußball? Zudem erleben wir statt Theorie Spiel für Spiel eine verschworene Praxis. Die Aufregung war groß am 1. Spieltag, an dem alles besser und geregelter werden sollte. Der Kölner Keller, die neue Machtzentrale des Fußballdaseins, funkte dauernd dazwischen, mal wurde aus Rot Gelb, mal umgekehrt. Wann ist ’ne Hand ’ne Hand? Spielunterbrechung, Warten, Geraune im Rund, immer wieder. Nur übrigens keine Informationen für die Fans im Stadion, entgegen der Ankündigung.

Am absurdesten war das Freitagsspiel. Da hebt Münchens Franck Ribery ab, wie filouhaft aber auch, zehn Minuten vor Ende beim Stand von 1:1 über einen liegenden Gegner aus Hoffenheim, der nichts, aber auch gar nichts tut. Elfmeter. Für eine offensichtliche Schwalbe, auf die sogar Andy Möller neidisch sein dürfte. Jeder, der bei Sinnen war, musste sich empören oder schlicht lachen.

Der Schiedsrichter konnte aus schlechtem Winkel womöglich ein Foul mutmaßen. Kein Vorwurf. Aber wir haben ja die Wächter. Und was machen die? Kein Mucks. Der Kölner Keller schwieg. Eingeschlafen waren sie nicht, wie zweifaches richtiges Eingreifen kurz danach offenbarte. Am Wochenende Rechtfertigungen: Köln, erläuterte der DFB, solle nur „bei klaren Fehlentscheidungen“ eingreifen. Der Strafstoß nach Riberys Luftnummer war keine? Nein, denn, so der DFB, „fahrlässiges Abwehrverhalten mit Zufallbringen des Gegners“ sei auch ein Foulkriterium: also da zu liegen, wo vielleicht einer hin will.

Das ist Realsatire. Und bitte, wenn eine Fehlentscheidung vorliegt, warum muss der Schiri dann noch zum Bildschirm laufen? Logisch wäre es, wenn ein Oberreferee das gleich korrigierte. Also ist das mit der klaren Fehlentscheidung als Kriterium schlicht eine Lüge.

Sedierende Kondenswolke über Köln-Deutz?

Eingreifen und Nichteingreifen erfolgen willkürlich. Es gibt keine Fehlerkultur bei DFB und DFL, keine sinnvollen Hierarchien, aber zweifelsfrei Unmengen Eitelkeiten und Eifersüchteleien. Letztlich herrscht Willkür. Kurz: Das Systemversagen hat System. Jahrelang war die Technik da, aber die Szene sträubte sich. Mit Überwachung gehe der wahre Fußball kaputt, die schöne Streitkultur danach werde zerstört und die Stammtischdebatten.

Eingreifen und Nichteingreifen erfolgen willkürlich, es gibt auch keine Fehlerkultur

Überdies machten die Unterbrechungen doch den Spielfluss kaputt. Dahinter steckte der naive Glaube, das Kameraauge werde Streitfälle systematisch klären. Das Gegenteil ist eingetreten: Jetzt können zwei Instanzen nach Gusto die Regeln biegen und beugen.

Der DFB lebt nicht hinterm Mond. Mit der Willkürtechnik ist die Manipulationsmöglichkeit gewachsen. Welcher Plan dahinter steckt, wieder einmal den unantastbaren FC Bayern durch Nichteingreifen zu bevorteilen (zuletzt auch noch bei Hummels’ Rotbremse im Supercupfinale), wissen wir nicht. Das weltweite Judentum ist es vermutlich nicht. Doch eine sedierende Kondenswolke über Köln-Deutz, gleich neben dem Flughafen?

Eher dies: Ribery ist Muslim. Nicht, dass die Islamisierung schon weiter fortgeschritten ist als selbst die AfD-Heinis fürchten!

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Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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