Zehnkampf-Europameister Arthur Abele: König der Vielseitigkeit

Der deutsche Zehnkämpfer Arthur Abele wurde am Mittwochabend in Berlin Europameister. Sein nächstes Ziel sind die Olympischen Spiele.

Arthur Abele trägt eine Krone aus Pappe und freut sich

Seine Krone aus Pappmaché sitzt wie festgetackert auf Arthur Abeles Rotschopf Foto: reuters

BERLIN taz | Noch lange nach seinem Sieg lief Arthur Abele mit diesem Pappding auf dem Kopf herum. Er wollte das neckische Krönchen, auf dem mit Filzer „King of 2018“ geschrieben stand, gar nicht mehr absetzen. Auch wenn die Krone an und für sich wertlos war, für den Zehnkämpfer mit der langen Leidensgeschichte wurde sie zu einer Insignie seiner Macht: King Arthur, König der Vielseitigkeit. Die historische Figur hat gegen Angeln, Jüten und Sachsen gekämpft, Arthur Abele meist gegen sich selbst.

Ihm war es nicht gegeben, als Auserwählter ein Schwert aus dem Stein zu ziehen und zur berüchtigten Sagenfigur im Dunstkreis des Zauberers Merlin aufzusteigen, der Leichtathlet aus Baden-Württemberg musste sehr lange und geduldig warten, bis er einen großen Titel gewinnen konnte. Am Mittwochabend war es endlich soweit. Der 33-Jährige wurde in Berlin Europameister, mit 8.431 Punkten. Die Uhr zeigte 21.45, das Thermometer 34 Grad – und das Publikum eine Standing Ovation.

33, das ist für einen Mehrkämpfer fast schon ein biblisches Alter. Die meisten seiner Konkurrenten haben sich da schon längst zur Ruhe gesetzt, pflegen ihre beanspruchten Knochen und sind froh, dass sie dem Schicksal eines Sportinvaliden entflohen sind. Aber Arthur Abele hat nunmal ein „Kämpferherz“, wie Idriss Gonschinska, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), verriet: „Seine Leistung ist bei der Vorgeschichte mehr als bemerkenswert.“

In Berlin, sagte Abele, habe er jeden Schritt und jeden Moment genossen“, was vielleicht auch daran lag, dass der Topfavorit auf den EM-Titel, Kévin Mayer, schon nach dem Weitsprung aus dem Rennen war; der Franzose hatte dreimal das Absprungbrett übertreten. Wie üblich schuf Abele mit einem guten Hürdenlauf über 110 Meter (13,94 Sekunden) und dem Speerwurf (68,10 Meter) Distanz zwischen sich und der Konkurrenz.

Es riecht nach Raubtierkäfig

Die anderen Disziplinen liefen, bis auf das Stabhochspringen, nach Plan. Das reichte. „Ich mache den Sport jetzt schon 21 Jahre, es wurde wirklich Zeit“, sagte der pappbekrönte Abele im Pressekontaktraum, in dem es hitzebedingt etwas nach Raubtierkäfig roch.

Seine lange Geschichte der Malaisen, Missgriffe und Muskelfaserrisse begann ja schon mit 11. Da fiel er vom Heuboden und verletzte sich schwer. Er schaffte es dann doch irgendwie zur Leichtathletik, war erst Sprinter. Sein Mehrkampftalent wurde entdeckt, als er sich nach einer Windpocken-Erkrankung schonen musste und im Trainingslager mit den Speerwerferinnen trainierte. In den Anfangsjahren lief alles gut. In seiner Alterklasse stellte der Jugendliche viele Rekorde auf. Vor 13 Jahren wurde er Zweiter bei der Junioren-EM. Mit 8.372 Punkten qualifizierte er sich 2008 für die Olympischen Spiele in Peking.

Dort hatte er einen typischen Arthur-Abele-Moment: Er verletzte sich am Muskel. Es sollte der Auftakt einer nervenaufreibenden und wahrlich vermaledeiten Verletzungsserie werden. Jahre gingen ins Land, und Abele brachte, weil der Körper streikte, einfach keinen Zehnkampf zustande. Vier Jahre ging das so, „Jahre, die weh getan haben, und zwar am Körper und am Kopf! Aber an Aufgeben habe ich nie gedacht“, hat er damals auf seiner Homepage geschrieben, die jetzt nur noch eine Baustelle ist.

Erst 2013 kehrte er mit einem ernstzunehmenden Resultat (8.139 Punkte) in die Szene zurück. Dieses Resultat wirkte wie eine Initiation. Seitdem läuft es wieder besser. Wobei: Als Abele in diesem Winter eines morgens aufwachte, da bekam er es mit der Angst zu tun: Eine Gesichtshälfte war gelähmt. Er dachte an einen Schlaganfall, landete im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Dort stellten die Ärzte einen „Spontaninfekt“ fest.

Schmerzsignale von der Achillesverse

Der Entzündungsherd hatte sich von den Mandeln über den Kiefer und das Mittelohr bis zum Gesichtsnerv gefressen. Da half nur noch eine harte Kortisonkur. Arthur Abele wurde wieder gesund, aber er hatte sechs Kilo zugenommen, was wiederum schlecht für Gelenke und Sehnen war. Umgehend meldete sich die Achillesverse und sendete Schmerzsignale.

Also wieder das alte Lied? Nicht ganz: „Bis März war das eine scheiß Sache“, danach konnte er sein Training aber gut durchziehen. Man sieht es ihm an. Abele wirkt extrem durchtrainiert und muskulös, hat einen sehr niedrigen Körperfettanteil, der seinen exzellenten Fitnesszustand unterstreicht. Auf diesen Wettkampf in Berlin hat er gewartet.

„Jetzt ist alles aufgegangen, alles hat gehalten“, sagt er. Selbst seine Krone aus Pappmaché sitzt wie festgetackert auf Arthur Abeles Rotschopf. Der Athlet von der SSV Ulm will jetzt zu den Olympischen Spielen in Tokio. Er hat da noch etwas zu erledigen.

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