Kolumne Immer bereit: Was hab ich über Ökomuttis gelästert!

Bequeme Einmalwindeln oder lieber ökologisch korrekte Mehrwegwindeln? Der Punkt ist, dass der Grüne Punkt doch nur eine Ausrede ist.

Eine Mutter wickelt ihr Baby mit einer Einwegwindel

Einwegwindeln sind ja schon länger ein Problem (hier eine Aufnahme von 1991) Foto: dpa

So. Nun ist es so weit. Ich bin mein eigenes Feindbild geworden.

Was hab ich früher gelästert über die Ökomuttis mit ihren Stoffwindeln und den glasigen Augen und ihrer völligen Fixierung aufs Baby. Mit dieser selbstverliebten Idee, durch individuelles Konsumverhalten die Welt zu retten.

„Politische Lösungen!“, hab ich gerufen. „Sonst ist das reinste Gewissen nur Augenwischerei!“

Und dann habe ich selbst ein Baby bekommen.

Und plötzlich meldete sich mein Gewissen. Was für Berge von Müll so ein kleiner Mensch produziert! Allein diese Masse an Windeln! Vom Energieverbrauch aufgrund Fläschchen abkochen, vollgekotzte Klamotten waschen und Kaffee für die Eltern machen ganz zu schweigen.

„Dieses Kind ist kein halbes Jahr auf der Welt und hat schon mehrfach sein eigenes Körpergewicht an Windeln vollgekackt“, sagte ich zu Paul.

„Und was die kosten!“, witzelte er. „Ab jetzt nehmen wir nur noch Klopapier für den Babypo. Einlagiges. Raufaser.“

Einmalwindeln im Meer

Ich hatte Albträume von Einmalwindeln, die durch die Tiefsee wabern wie Quallen aus Plastik. Bis sie im Maul eines Delfins hängen bleiben, der sie, kurz bevor er qualvoll daran verendet, noch auf irgendein irre seltenes Korallenriff hustet.

Und dann kam es in den Nachrichten.

220 Kilogramm Verpackungsmüll. Pro Kopf. Pro Jahr. In Deutschland. Und die Hälfte davon geht auf privaten Verbrauch zurück. Wie konnte das passieren?

Na ja. Gestern war ich einkaufen. Im Supermarkt. Lachs in Plastik, mit Folie verschweißt. Brot aus der Tüte mit Klippverschluss, Milch und Saft in Tetrapacks. Und dann Gemüse. Tomaten „aus der Region“ im umweltfreundlichen Pappschiffchen mit Plastikfolie obendrüber. Bioäpfel, genauso verpackt, aus Neuseeland; Gurken in Riesenkondomen und Pilze in der Plastikdose.

Wisst ihr noch damals, in den Neunzigern, als wir unser Obst und Gemüse im Gemüseladen kauften? Ich stand vorm Verkaufstresen, reichte meinen Beutel rüber und sagte: „Ein Pfund Tomaten, bitte“, und Frau Schramm sagte: „Die italie­nischen sind teurer, aber die Brandenburger sind genauso gut.“

Der Bäcker war auf der anderen Straßenseite, Getränke-Hoffmann um die Ecke. „Flaschen wegbringen“ war ein stehender Begriff.

Plötzlich denke ich anders

Wir gingen jeden Tag einkaufen. Die Wege waren kürzer, dafür legten wir sie häufiger zurück. Und wir kauften weniger.

Und heute? Tante-Emma-Läden und Bäcker gibt es nur noch in größeren Städten. Discounter haben den Lebensmittelmarkt längst unter sich aufgeteilt.

Na ja, und nun haben wir ein Baby und plötzlich denke ich anders über alles. Das Leben, die Erde, Partys, Wäsche. Alles.

Der Punkt ist, dass dieser Grüne Punkt doch nur eine Ausrede ist, um so viel Plastik zu produzieren, dass man das ganze Land darin verpacken könnte.

1991 wurde die Idee entwickelt. Angeblich wollte man damit Verpackungsmüll vermeiden. Tatsächlich ist das Ying-und-Yang-artige Piktogramm doch nur eine Ausrede, so viel Müll zu produzieren wie möglich. Schafft Arbeitsplätze, bringt die Wirtschaft in Schwung, die Herstellung der Verpackungen genauso wie das Recycling.

Ein strukturelles Problem

Und damit ist es eben doch kein privates, sondern ein strukturelles Problem.

Und deswegen benutzen wir jetzt Stoffwindeln. Zumindest fürs Erste.

Fragt mich in einer Woche, wie lange wir durchgehalten haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.