Irreguläre Elfmeter bei der WM: „Nur die Rohrkrepierer abpfeifen“

Die meisten Elfer bei der WM waren irregulär. Warum das trotzdem niemand ahndet, erklärt der Schiedsrichter-Beobachter Andreas Thielmann.

Schiedsrichter haben's auch nicht immer leicht Foto: Reuters

taz: Herr Thiemann, wie hat Ihnen die Leistung der Schiedsrichter bei der WM in Russland bislang gefallen?

Andreas Thiemann: Gut. Bisher waren die Unparteiischen kein großes Thema – das kennen wir von vergangenen Turnieren auch anders –, ein gutes Zeichen.

Woran liegt das?

Es zeigt etwa, wie gut der Videoassistent eingeschlagen hat. Dadurch wurde eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen ausgebügelt. Wenn das so weitergeht, können wir mit dem Einsatz des Videobeweises mehr als zufrieden sein.

Der „Kicker“ schreibt, 16 der 20 Elfmeter am vergangenen Sonntag seien – streng genommen – irregulär gewesen, weil die Torhüter ihre Linie oft schon um einen Schritt verlassen hatten, bevor der Ball vom Schützen berührt wurde. Das dürfen sie nicht. Warum wird das nicht geahndet?

49, ist Vorsitzender des Verbandsschiedsrichterausschusses im Fußballverband Niederrhein und, nach eigener Schiedsrichterkarriere, mittlerweile Schiedsrichter-Beobachter.

Für den Schiedsrichter ist oft kaum auflösbar, wann der Torhüter die Linie verlässt. Er muss sich auf beide Protagonisten konzentrieren, auf den Schützen und den Torwart. So ist schwer erkennbar, wann genau der entscheidende Schritt nach vorne passiert.

Aber diese Regel existiert ja nun einmal so, offenbar hatte man sich mal etwas dabei gedacht.

Der Schiedsrichter soll die Regeln immer auch im Geiste des Fußballs interpretieren. Niemand im Stadion kann wollen, dass zig Elfmeter wiederholt werden. Sobald der Ball im Tor ist, ist diese Regel ohnehin obsolet.

Warum das?

Weil die Wirkung abgewartet werden muss. Die Regel hat keine Bewandtnis, wenn der Ball im Tor ist, denn dann hat das Manöver des Torhüters ja zu nichts geführt. Es müssten also nur die Elfmeter wiederholt werden, die der Torhüter abwehrt. Und überlegen Sie, was dann los wäre! Wenn der Schiedsrichter einen Elfmeter wiederholen lässt, den der Torwart pariert hat – die Atmosphäre würde nur weiter angeheizt, alle Spieler wären beim Schiedsrichter. Und der Leidtragende wäre der Schütze, der noch einmal antreten müsste, obwohl er soeben verschossen hat. Auch solche Überlegungen muss ein Schiedsrichter anstellen.

Im Spiel England gegen Kolumbien wurde Schiedsrichter Mark Geiger, nachdem er auf Strafstoß für England entschieden hatte, von sieben, acht Kolumbianern über Minuten massiv bedrängt. Muss er da nicht konsequenter agieren?

Ja, da ist natürlich die Persönlichkeit des Schiedsrichters gefragt. Meistens ist der Glaube, dass sich ein Spiel von selbst beruhigt, ein schlechter Ratgeber. Eine klare Linie ist oft die bessere Variante. Aber es ist ohnehin zu einer Unsitte geworden, die Entscheidungen des Schiedsrichters derart anzugreifen.

Hat das zugenommen? Und wenn ja, warum?

Ja, ganz extrem, genauso wie diese ganze Schauspielerei. Das, was Neymar macht, schadet dem Fußball. All das zeigt, dass der Fußball immer emotionaler und öffentlichkeitswirksamer wird und dass immer mehr Show dazugehört.

Warum zücken Schiedsrichter bei Schwalben so selten die Gelbe Karte?

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Sobald auch nur ein minimaler Kontakt vorliegt, ist eine Schwalbe keine Schwalbe mehr. Wenn der Schiedsrichter das nicht sicher ausschließen kann, wird er die Gelbe Karte stecken lassen.

Neben den irregulären Elfmetern gab es auch andere kleinere Regelverstöße. Wie sollten zum Beispiel falsch ausgeführte Einwürfe geahndet werden?

Nur die absoluten Rohrkrepierer sollten abgepfiffen werden. Dazu gehören Bälle, die nicht in einem Zug über den Kopf geworfen werden. Ansonsten gilt auch da: Entscheiden im Geiste des Fußballs.

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