EU-Gipfel zur Asyl- und Flüchtlingspolitik: Das Prinzip der Unsolidarität

Einige Länder wollen das Dublin-System wieder, andere fordern faire Umverteilung. Die EU sucht bei ihrem Gipfel am Donnerstag nach Konsens.

Eine Frau trägt ein Kleinkind vom Schiff

Geflüchtete aufnehmen – das handhaben die Staaten sehr unterschiedlich Foto: dpa

BERLIN taz | Diesen Donnerstag treffen sich die Staatschefs der EU in Brüssel zu einem zweitägigen Gipfel. Auf der Tagesordnung: das europäische Asylsystem. Zuletzt wurde es 2012 reformiert. Doch die Mängel des Systems sind offensichtlich.

Viele Staaten werden benachteiligt, Flüchtlinge entrechtet, immer mehr Länder kontrollieren, trotz Schengen, die EU-Binnengrenzen und weisen Geflüchtete ab. Jetzt soll eine neue EU-Asylarchitektur her. Doch ob die gefunden werden kann, ist höchst fraglich.

Die Interessenunterschiede sind fundamental. Der EU-Kommission ist es in den letzten Jahren ebenso wenig gelungen, einen Kompromiss zu finden, wie den halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften, obwohl alle sich genau dies ausdrücklich vorgenommen hatten.

Grundkonflikt ist die Verteilungsfrage: Die Staaten an den EU-Außengrenzen wollen keiner Lösung zustimmen, die ihnen weiter die gesamte Last allein aufbürdet. So sieht es die Dubling-Regelung vor, nach der Geflüchtete in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, mit dem sie zuerst die EU betreten.

Schwerste Auseinandersetzungen

Vor allem die osteuropäischen Staaten, etwa der Visegrád-Gruppe (Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn), aber auch Österreich sind jedoch strikt dagegen, anderen Staaten Geflüchtete abzunehmen.

Ein 2015 beschlossener, einmaliger EU-Verteilmechanismus hat schwerste Auseinandersetzungen nach sich gezogen. Die Kommission hat verschiedene Ausgleichsmaßnahmen vorgeschlagen, aber keine ist konsensfähig. Deswegen versucht sie seit 2015 verstärkt, durch Interventionen in Afrika zu verhindern, dass Geflüchtete überhaupt erst nach Europa gelangen – darauf können sich alle einigen.

Diese Strategie wird auch beim Gipfel eine wichtige Rolle spielen: Angela Merkel sagte am Dienstag: „Der zentrale Punkt für die allermeisten Mitgliedstaaten“ bei dem bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel sei die „Frage der externen Dimension der Migration“.

Wir zeigen die Haltungen der Kommission und der wichtigsten EU-Staaten – und ob diese in den letzten Jahren Flüchtlinge aus anderen EU-Staaten über den Umverteilmechanismus aufgenommen haben.

***

EU-Fahnen vor einem Gebäude

Will die Dublin-Richtlinie verschärfen: die EU-Kommission Foto: dpa

Die EU-Kommission möchte die Asylverfahren vereinheitlichen und möglichst auf EU-Ebene ziehen. Gleichzeitig hat sie weder einen tragfähigen Kompromiss für eine Reform der Dublin-Richtlinie noch für einen Verteilmechanismus gefunden. 

Die von ihr geplante Verschärfung der Dublin-Richtlinie sieht vor, dass es etwa in Italien oder Griechenland registrierten Geflüchteten überhaupt nicht mehr möglich sein soll, in andere EU-Staaten weiterzuziehen und dort ein Asylverfahren durchzuführen.

Derzeit ist das noch möglich – etwa wenn Länder die Verfahren freiwillig annehmen, wie Deutschland teils bei Geflüchteten aus Griechenland oder wenn die Frist für die Rücküberstellung verstreicht. Die Außengrenzen-Staaten lehnen diese Verschärfung ab, unter anderem die CSU aber besteht darauf.

Deutschland ist Profiteur der Dublin-Regel. Allerdings kommen viele Geflüchtete trotzdem hierher und stellen einen Asylantrag. Will Deutschland diese nicht bearbeiten, muss es die Geflüchteten innerhalb von sechs Monaten in das EU-Land abschieben, in dem sie registriert wurden. Dazu hat es 2017 insgesamt 64.267 Übernahmeersuchen an andere EU-Staaten gestellt, davon jedes dritte an Italien. Tatsächlich überstellt wurden 7.102 Personen.

In weiteren Fällen lehnten etwa die anderen Staaten die Rücknahme ab, hatten Klagen Erfolg, Fristen wurden nicht eingehalten oder es wurden Verfahrensfehler begangen. Deutschland will, dass die innereuropäische Rückschiebung effektiver läuft, etwa durch spezielle Abkommen mit Italien, Griechenland oder Ungarn. 

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 10.800 (vorgesehen: 23.500)

Frankreich ist unter Macron Vorreiter der Externalisierung des Grenzschutzes nach Afrika geworden und führt etwa seit einigen Monaten in einem Pilotprojekt Asyl-Vorverfahren in Niger durch. Er befürwortet Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika, bevor diese die EU erreichen. Weist Flüchtlinge in Ventimiglia an der Grenze zu Italien ab, vermutlich ist das illegal.

Allerdings gibt es dazu ein bilaterales Rücknahmeabkommen mit Italien. Spricht sich für große, geschlossene Asyllager in Griechenland und Italien aus, die von der EU bezahlt werden.

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 5.200 (vorgesehen: 16.000)

Ein Zaun

Spanien hat schon lange einen Zaun: Grenzanlage in der Exklave Ceuta Foto: reuters

Spanien hat als einziger EU-Staat eine Landgrenze zu Afrika, seit Jahren werden Flüchtlinge ohne Asylverfahren hier abgewiesen und direkt an marokkanische Soldaten übergeben. Es ist sehr fraglich, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist. Spanische Grenzschützer sind seit 2006 im Senegal aktiv und halten dort Flüchtlingsboote auf.

Die Regierung gab sich zuletzt aber eher progressiv, unter anderem hat sie die Demontage der Klingen an den Zäunen der Enklaven Ceuta und Melilla angekündigt.

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 1.359 (vorgesehen: 7.400)

Die Schweiz gehört nicht zur EU, aber zum Schengen-Raum. Seit 2016 weist das Land Flüchtlinge an der Grenze zu Italien ab, sofern die keinen Asylantrag in der Schweiz stellen wollen.

Alle anderen werden sofort zurückgeschickt. Dafür gibt es ein bilaterales Rücknahmeabkommen mit Italien

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 1.600, freiwillig

Italien. Hier kamen seit 2013 etwa 680.000 Flüchtlinge an. Laut Dublin-Regel musste Italien die Asylverfahren allein durchführen. Ab etwa 2012 unterlief die Regierung die Dublin-Regelung und ließ viele Flüchtende einfach weiterziehen. Ein Umverteilungsmechanismus ab 2015 nahm dem Land nur 12.700 Flüchtlinge ab, versprochen waren 39.000.

Der Unmut wuchs und führte zum jüngsten Wahlerfolg der extrem rechten Lega Nord. Die hat angekündigt, jede EU-Reform zu blockieren, die das Land weiterhin benachteiligt. Sie will das Ende von Dublin.

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: keine, Außengrenze

Malta ist seit 2011 Sitz des Europäischen Asyl-Unterstützungsbüros EASO. Die Kommission will das EASO seit Langem zu einer vollwertigen Asylbehörde ausbauen. Die könnte dann EU-Asylverfahren durchführen.

Der Vorteil: vereinheitlichte Verfahren und – möglicherweise – auch vereinheitlichte Aufnahme. Das Problem: Kein Land ist bislang bereit, dafür Kompetenz abzutreten oder Flüchtlinge aufzunehmen, die ein „EU-Asyl“ bekommen, aber kein nationales Verfahren durchlaufen haben. Aber: Seit Kurzem unterstützt auch Angela Merkel die Idee einer echten europäischen Asylbehörde.

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 177 (vorgesehen: 114)

Aus einem Zelt scheint Licht. Die Nacht bricht ein

Auf griechischen Inseln warten weiterhin Geflüchtete: UNHCR-Zelt auf Lesbos Foto: ap

Griechenland ist Verlierer des Dublin-Systems. Das Asylsystem ist schon 2010 zusammengebrochen. Der Umverteilungsmechanismus ab 2015 nahm dem Land 22.000 Flüchtende ab, versprochen waren 66.000. Seit dem EU-Türkei-Deal kamen etwa 60.000 Flüchtlinge in Griechenland an. 

Die Hälfte ist in katastrophalen Internierungslagern auf den Ägäischen Inseln. Die andere Hälfte wurde aufs Festland gebracht, ein Teil davon zog nach Deutschland weiter.

Haltung zur Umverteilung: dafür

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: keine, Außengrenze

Die Visegrád-Gruppe. Der osteuropäische Staatenbund aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn – neuerdings sehr eng verbunden mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz – lehnt jede Flüchtlingsaufnahme strikt ab. Als die EU 2015 einen Verteilungsmechanismus beschlossen hat, haben Ungarn und die Slowakei angekündigt, diesen nicht umzusetzen, und gegen die EU geklagt.

Die Klage haben sie im September 2017 verloren. Ungarn hat trotzdem keine Flüchtlinge über den Verteilungsmechanismus aufgenommen. Dort wurde diese Woche ein Gesetzespaket zur Kriminalisierung von Flüchtlingshelfern verabschiedet. Flüchtende werden interniert.

Haltung zur Umverteilung: dagegen

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen (offiziell vorgesehen): Polen 0 (4.900), Slowakei 16 (712), Tschechien 12 (2.200), Ungarn 0 (988)

Österreich hat derzeit die Ratspräsidentschaft inne und lehnt jeden Verteilmodus ab. Das Land will stattdessen die Flüchtenden in Lagern außerhalb der EU halten. Kontrolliert an den Grenzen zu Slowenien, Ungarn und Italien.

Bereits registrierte Flüchtlinge werden abgewiesen, es sei denn, sie beantragen Asyl. Dann werden sie nach kurzer Prüfung abgelehnt.

Haltung zur Umverteilung: dagegen

Gemäß Umverteilung seit 2015 übernommen: 44 (vorgesehen: 1.400)

Die Außengrenzen-Staaten wie Italien, Griechenland und Ungarn sollen laut der von der Kommission geplanten neuen Dublin-Regel das Recht bekommen, Flüchtende direkt in ein anderes Land außerhalb der EU zurückzuschicken, wenn auch dort ein Asylverfahren möglich ist. 

Damit will die Kommission sie einerseits entlasten, gleichzeitig aber am Dublin-Grundprinzip festhalten.

Allerdings gibt es bislang keinen Nachbarstaat der EU, der a) ein so gut funktionierendes Asylsystem hätte und b) bereit wäre, Zurückgeschobene aus Europa aufzunehmen und für sie Asylverfahren durchzuführen und/oder sie in ihre Herkunftsländer abzuschieben.

Hier kommt die EU-Kommission wieder ins Spiel: Sie versucht über „Migrationspartnerschaften“, Länder wie Tunesien, Algerien, Marokko und Senegal als mögliche Partner für einen solchen Mechanismus zu gewinnen. 6 Milliarden Euro will EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani dafür bereitstellen.

Libyen hat seit Sommer 2017 über 10.000 Flüchtlinge auf dem Meer wieder eingefangen. Sie kamen in die Lager zurück und werden von dort teils von der UN-Organisation IOM wieder in ihre Herkunftsländer zurückgebracht. Libyen bekommt dafür von der EU Geld, Ausrüstung, Trainings. Vor allem Italien will hier jetzt „Flüchtlingszentren“ errichten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.