Experte über Zukunft der Naturkostläden: „Bio leben, nicht nur verkaufen“

Immer mehr Ketten führen Bio-Lebensmittel in ihrem Sortiment. Dennoch sieht der Einzelhandelsexperte Stephan Rüschen eine Chance für die kleinen Fachhändler.

Beleuchtete Regale mit Bio-Sortiment bei Edeka in Düsseldorf

Bio-Sortiment bei Edeka in Düsseldorf – es muss aber nicht immer Kette sein Foto: dpa

taz: Herr Rüschen, 2010 hatte noch jeder zweite Bioladen eine Verkaufsfläche von unter 100 Quadratmetern, 2017 war es noch jeder dritte. Dennoch machen Sie den Fachhändlern Mut. Warum?

Stephan Rüschen: Die sogenannten Biofilialisten, also denn’s oder Alnatura, haben deutlich schlechtere Zufriedenheitswerte als die kleinen, selbstständigen Bioläden. Das finde ich relativ überraschend. Ich schließe daraus vor allem zwei Dinge: Erstens haben Selbstständige sehr wohl eine Überlebenschance. Denn sie können das verkörpern, was im Biomarkt besonders wichtig ist: Authentizität. Zweitens gehe ich davon aus, dass am Ende des Tages nur zwei der aktuell fünf relevanten Biofilialisten übrig bleiben. Entweder sie gehen groß und bundesweit – oder sie gehen ein.

Was heißt Authentizität?

Bioläden müssen glaubhaft vermitteln, dass sie Bio nicht nur verkaufen, sondern leben. Dafür müssen die Angestellten sehr gut geschult sein. Sie sollten zum Beispiel genau wissen, wo die Ware herkommt. Beim Discounter und zunehmend auch bei den großen Biofilialisten merkt man sofort, dass vor allem Effizienz und Produktivität zählen. Beim Biofachhandel muss es primär darum gehen, Tier und Umwelt gut zu behandeln.

Professor für Lebensmittelhandel in Heilbronn, hat Kund*innen repräsentativ zur Zufriedenheitmit ihren Einkäufen befragt. Kleine Bioläden schnitten dabei gut ab.

Wie können die Kleinen überleben?

Die Kundenzufriedenheit hängt vor allem von drei Fragen ab: Sind die Produkte regional? Sind sie qualitativ herausragend? Und verkörpert das Personal Bio? Zudem ist es sinnvoll, sich Einkaufsgemeinschaften anzuschließen, die den Selbstständigen auch beim Marketing helfen.

Sie sprechen von Kundenzufriedenheit. Entscheidend ist aber, wie sich die Kun­d*innen letztlich verhalten.

Das stimmt. Es hat sich gezeigt, dass Kundenunzufriedenheit zu Misserfolg führt. Im Umkehrschluss führt Kundenzufriedenheit nicht automatisch zu wirtschaftlichem Erfolg. Sie ist allerdings ein relevanter Faktor. Im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hat sich das bestätigt. Kaiser’s Tengelmann war jahrelang Schlusslicht bei der Kundenzufriedenheit – und ist heute insolvent.

Trotz der Zufriedenheit haben es die Kleinen schwer. Wie passt das zusammen?

Ich sehe darin eher ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Bereitschaft, selbstständig zu arbeiten und Risiken einzugehen, sinkt. Genau wie im konventionellen LEH gibt es im Biohandel ein Nachfolgeproblem. Keiner will den Job machen. Der sogenannte Fachkräftemangel gilt nicht nur für Ingenieure, sondern auch für Kassierer. Der Handel ist keine attraktive Branche: lange, ständig wechselnde Arbeitszeiten, körperlich anstrengende Arbeit. Für Filialleiter sind die Risiken hoch, die Margen gering.

Was bedeutet das Sterben der Kleinen für die gesamte Öko­branche?

Wenn die wegfallen, kann das zulasten der kleinen Produzenten gehen. Großabnehmer verlangen nach großen Mengen. Eine Lösung könnte das Filialmodell von Edeka und Rewe sein. Deren Filialen werden nicht von Filialleitern, sondern von Eigentümern geführt. Sie können für ihre Filiale entscheiden, beispielsweise die Tomaten vom benachbarten Kleinbauern zu beziehen. Die Gefahr besteht zudem, dass Ketten nicht so mitarbeiterorientiert und sozial agieren. Da kann es dann, wie bei den Discountern, nur noch um Personalproduktivität gehen. Am Ende arbeiten dort ganz viele Leute, die wenig Ahnung von Bio haben, sodass die Filialisten ein Authentizitätsproblem bekommen.

Die Kleinen vertreten Bio als Bewegung, die Großen verwerten Bio als Marke. Wird mit dem Sterben der Kleinen der progressive ökologische Gedanke durch Profitstreben ersetzt?

Ja, das stellen wir auch so fest. Alle Händler bewegen sich jedoch in einem Dilemma. Die Selbstständigen müssen sehen, dass sie authentisch Bio leben. Wenn man in unserem Wirtschaftssystem jedoch keinen Gewinn macht, fliegt man raus. Andersherum, wenn Bio nur noch Mittel zum Zweck ist, nehmen es dir die Leute nicht mehr ab. Die Läden stehen also nicht vor einer Entweder-oder-Entscheidung, sondern müssen im System einen guten Kompromiss finden. Natürlich wäre es auch möglich, den gesetzlichen Rahmen zu ändern.

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