Kleiderordnung in der Bürgerschaft: Das nackte Grauen

Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft will eine Kleiderordnung. Abgeordnete sollen mit Klamotten die Würde des Parlaments achten.

Nackte Menschen auf Heuballen, von hinten fotografiert

Nur nackt sind alle Menschen gleich: Anti-Atom-Aktivisten machen es vor Foto: dpa

BREMEN taz | Das Abendland wird doch noch gerettet. In Bremen selbstverständlich, und durch den seit jeher vor Tatkraft und Einfallsreichtum nur so strotzenden Bürgerschaftspräsidenten Christian Weber (SPD): Schon seit 1999 Chef des Hohen Hauses, arbeitet er unermüdlich an einer Steigerung der Wahlbeteiligung, die zuletzt sogar über 50 Prozent lag. Nun will er – und wofür sonst wäre die SPD gegründet worden? – eine Kleiderordnung in der Geschäftsordnung des Bremischen Parlaments verankern. Die Entscheidung wurde vertagt

Anlass des Plans: Am 29. Mai 2018 war die Abgeordnete Kay Wargalla (Grüne) bei 34 Grad im Schatten barfuß zur Sitzung erschienen. In Folge hatte, wie der Weser-Kurier erkannte, das Bildungsniveau der Hansestadt gelitten. Die Pisa-Ergebnisse gingen schwupp in den Keller. Die Uni verliert ihren Elite-Status. Niemand nimmt die Bürgerschaft noch richtig ernst, allen voran ihren Präsidenten, die Einschaltquote bei der Debatten-Liveübertragung ist technisch nicht mehr zu erfassen. Und die Verschuldung pro Kopf beträgt in Bremen 30.828 Euro, pro Fuß also etwas mehr als 16.000 Euro, ob mit oder ohne Strumpfersparnis.

Kleiderordnungen sind wichtig in der Politik: im Kampf gegen die „laesa maiestas“, also die Kränkung der Würde des politischen Amtes. Christian Weber nicht unähnlich, hatte schon Kaiser Tiberius den Mitgliedern der Senatsversammlung das Tragen von durchsichtigen Seidentogen verbieten müssen – „um der Ehre willen“, wie es in der hitzigen Debatte hieß: Entwürdigende Barfußgänger hat er entsprechend kreuzigen lassen. Umgekehrt beginnt der Anspruch des Bürgertums auf politische Repräsentanz und Einfluss 1789 mit dem ostentativen Verzicht aufs Tragen von Hosen (Culottes), das umgehend zum Terror führte (1793).

Insofern ist erstaunlich, wie sorglos Deutschlands Landtage bislang mit dieser Frage umgegangen sind. Was es überall gibt, ist ein Passus in der Hausordnung, der Abgeordneten und Besucher*innen untersagt, durch Kleidung oder Kennzeichen die Menschenwürde oder die des Parlaments zu verletzen. Was es nirgends gibt, ist eine echte Kleiderordnung. Hier will Weber nun einen freilich etwas zaghaften Vorstoß unternehmen: Die Würde des Hauses soll „durch das Tragen angemessener Kleidung sowie den respektvollen Umgang miteinander“ gewahrt oder vielmehr hergestellt werden.

Respektvoll ohne Schuhe

Respekt ist wichtig, gerade für Weber, denn ohne ihn wäre er am Ende bloß ein mit 11.750 Euro pro Monat außerordentlich gut bezahlter Schlipshalter. Und angemessene Kleidung ist auch gut, denn sonst zwickts im Schritt oder rutscht, das ist ungemütlich. Gleichwohl bleibt der Vorstoß, wie so vieles in Bremens Politik noch zu halbherzig, ein auf halber Strecke versandender Kompromiss, der am Ende gar nichts bringt, weil er versäumt zu klären, was er regeln will. So ist es oft genug ein Zeichen von Respekt gerade nicht mit kotigen Schuhen einzutreten in den Tempel, das Heiligtum oder auch nur die gute Stube, sondern barfuß.

Zudem wird durch Kleidungsdifferenzen die Gleichheit der Abgeordneten unterwandert: Vermögensgefälle von Gucci bis Primark, Klassenstandpunkt, ökologisches Bewusstsein, sexuelle Orientierung, Glaube – täte nicht auch ein Burkaverbot dringend not? – Geschlecht, ethnische Herkunft – alles findet seinen Ausdruck im Zeichensystem der Mode und lenkt, als permanente nonverbale Kommunikation auf respektlose Weise vom Eigentlichen des Parlaments ab, dem Bimmeln der Präsidentenglocke. Und den politischen Reden.

Also ein Mao-Anzug? Der hat zwar als Zeichen eine Gleichheit milliardenfach wirksam behauptet, die jedoch gab es faktisch nicht. Und er hat dafür zwangsweise Einheitlichkeit hergestellt: Eine zivile Uniform kann das Problem nicht lösen, weil sie das Prinzip der Vielfalt leugnet. Sie wäre undemokratisch.

Aber das führt auf eine Spur. Denn ein Parlament hat ja seine Würde nicht, weil sie eingebaut wäre, sondern sie leitet sich davon ab, dass seine Insassen gewählt wurden und das Volk repräsentieren. Die Idee, durch umfangreiche Nachwahlbefragungen die Kleidungsstile der Bürger*innen zu ermitteln und sie dann nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren so wie die Sitze in den Ausschüssen auf die Abgeordneten zu verteilen, klingt verführerisch, könnte aber wie ein imperatives Mandat wirken, das die AfD-Abgeordneten zwänge, im Minirock aufzutreten oder gar in Bermuda-Shorts. Das kann nicht der Sinn der Demokratie sein.

Ein starkes Zeichen

Zum Glück gibt es zu Grundfragen der Ausgestaltung des parlamentarischen Lebens Hinweise und Winke in vielen Urteilen aus Karlsruhe: „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes“, hat das Bundesverfassungsgericht erst 2007 klargestellt – und die Bedingung benannt: „Vertrauen ohne Transparenz ist nicht möglich.“ Damit ist auch die Richtung für eine demokratisierende Kleiderordnung bestimmt: denn Kleidung verhüllt. Insofern wird sie entweder eine Entkleidungsordnung, oder man lässt es bleiben: Welch starkes Zeichen wäre das!

Es wäre ein übersehbarer Einspruch gegen die fatale Tendenz zur Ästhetisierung des Politischen. Und eine klare Botschaft an die politverdrossenen Demokratienörgler, das unsere Abgeordneten jedenfalls nichts zu verbergen haben! Bei Holz und Polster bitte Handtuch unterlegen!

Für die Würde des Parlaments wäre der Gewinn beträchtlich: Denn es ist viel weniger peinlich, wenn ein Knabe auf der Besuchertribüne steht und auf den Präsidenten weist und sagt: „Er hat ja nichts an“, als wenn ihm auffiele: „Men han er ganske hule.“ Der Kaiser ist hohl.

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