Wiederentdeckter Roman aus Ägypten: Das schwarze Schaf der Familie

Ein Taugenichts aus gutem Hause: Waguih Ghalis Roman „Snooker in Kairo“ legt nicht zuletzt auch die Brüche des heutigen Ägyptens offen.

Leute in einem traditionelle Cafe in Kairo, neben einer Statue des äyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, April 2018 Foto: reuters

Zynisch, voller Brüche und dabei wahnsinnig witzig: das ist Ram, die Hauptperson im Roman „Snooker in Kairo“ des Ägypters Waguih Ghali. Der Autor erweckt das Kairo der 1950er Jahre zum Leben: die von vielen verklärte goldene Zeit Ägyptens, als Präsident Nasser versuchte, den Kolonialismus abzuschütteln und den Ägyptern eine eigene Identität zu geben. Doch die Kratzer dieser goldenen Zeit legen viele Probleme frei, unter denen des Land auch heute krankt.

Ghalis Hauptfigur Ram ist gebildet, belesen, attraktiv – und alles andere als der perfekte Schwiegersohn. Er hat viele Frauen um sich, noch mehr Alkohol in sich und lebt in die heißen Kairoer Sommertage hinein, die immer gleich ablaufen.

Nach einem launigen Gespräch mit seiner Mutter – Oberschicht, aber durch den spielsüchtigen Ehemann verarmt – und nachdem er charmant den neuesten Versuch seiner Tante, ihm einen guten Job zu vermitteln, ignoriert hat, zieht es Ram in die Hotelbars und Clubs der Stadt. Ob der Tag besser oder schlechter verläuft, ist dabei von wenigen Faktoren abhängig. Steht ein befreundeter Kellner hinter dem Tresen des „Groppi“, kann es ein guter Tag werden.

Im Rückblick eine goldene Zeit

Der erste Whisky wird angeschrieben, der zweite von Freunden übernommen, der dritte dann schon vom eigenen, beim Bridge oder Snooker gewonnenen Geld bezahlt. Dazwischen parlieren Ram und seine Freunde geistreich auf Englisch und Französisch. Arabisch kommt nur zum Einsatz, wenn es um die Fellachen geht, die geringgeschätzten ägyptischen Bauern vom Lande. Manchmal endet der Tag mit Haschisch und Frauen, häufiger mit Kopfschmerzen, fast immer in Depression und Zynismus.

Waguih Ghali: „Snooker in Kairo“. Deutsch von Maria Hummitzsch. C. H. Beck Verlag, München 2018, 256 Seiten, 22 Euro

Über 50 Jahre nachdem Waguih Ghalis „Beer in the Snooker Club“ im englischen Original erschienen ist, liegt nun die deutsche Übersetzung vor. Endlich. Denn Ghali zeichnet in einem herrlich entspannten und ungemein witzigen Tonfall die Bruchlinien des postkolonialen Ägyptens der Nasser-Zeit nach.

Gamal Abdel Nasser hatte 1952 König Faruk aus dem Sessel geputscht und versucht, die „arabischen Brüder“ unter ägyptischer Führung zu einen. Für die Ägypter war das vor allem im Rückblick eine goldene Zeit, zu Nassers Begräbnis kamen Millionen. Doch viele andere fielen dem Regime zum Opfer, zum Beispiel die christlichen Kopten, zu denen auch Rams Familie gehört. Für ihn und seinen besten Freund Font zeigt sich das, als sie nach England reisen möchten. „Ihr zwei seid Kopten“, sagt der Direktor der Schule, die die ägyptische Elite ausbildet, „und da die jetzigen Machthaber allesamt Muslime sind, machen sie sich nicht die Mühe, euch Visa zu geben.“

Gerade wegen seiner vielen inneren Brüche wächst einem dieser sprunghafte, launische Charakter ans Herz

Eine Tante mit dickem Geldbeutel

Natürlich ist das für die beiden kein Problem. Zwar gelten sie immerhin der gesättigten Oberschicht als arm, und tatsächlich muss sich Ram durch die Clubs und Bars schnorren. Aber irgendeine Tante mit dickem Geldbeutel findet sich immer. Das größere Problem sind die Frauen: Von denen gibt es in Rams Leben zwar einige. Aber alle, die er haben kann, stößt er vor den Kopf, und verliebt sich dagegen schwer in die, die er nicht haben kann: Edna, eine jüdische Ägypterin, die ihm und Font den Aufenthalt in England finanziert und mit den beiden dort eine Zeit lang lebt.

Um ihr das Wasser reichen zu können, entdeckt er seine umfassende literarische und politische Bildung wieder. In England tritt er sogar der Kommunistischen Partei bei. Später bemerkt er dazu, dass für einen gebildeten, schlauen, antirassistischen Menschen eigentlich nur zwei Dinge übrig blieben: „Er kann in die Kommunistische Partei ein- und dann wieder aus ihr austreten, um sich über ihre Unzulänglichkeiten zu mokieren, oder er kann verrückt werden.“ Rams Beziehung zur Politik ist komplex: Wieder in Ägypten, wird er Mitglied in einer Geheimorganisation, die Menschenrechtsverletzungen der Nasser-Regierung dokumentiert.

Als er versucht, die Gräueltaten ans Licht zu bringen und das Material an Zeitungen schickt, passiert – natürlich – gar nichts. Da ergeht es Ram besser, als es heute der Fall wäre: Das Sisi-Regime erstickt sämtliche kritischen Nichtregierungsorganisationen im Keim und verfolgt Nestbeschmutzer mit brutaler Härte.

Unter dem Deckmantel nationaler Befreiung

Viele weitere Analogien des postrevolutionären Ägyptens der 50er Jahre zur heutigen Situation nach der Arabellion von 2011 sind jedoch treffend. In „Snooker in Kairo“ beklagt Ram, dass sich auch mit dem neuen Hoffnungsträger Nasser kaum etwas im Land ändere. Beide Revolutionen brachten Enttäuschungen mit sich. Wie der jetzige Präsident Abdel Fattah al-Sisi und alle Herrscher dazwischen hat auch Nasser Menschen verschwinden, einkerkern und foltern lassen.

Das alles unter dem Deckmantel der nationalen Befreiung von den Kolonialmächten. Nassers Kampf für die arabische Identität wäre, auf das Heute übertragen, al-Sisis Kampf gegen den Terror. Beide waren zum kleineren Teil notwendig und dienten zum größeren Teil der Ablenkung davon, die Daumenschrauben im Inneren mächtig anzuziehen.

Die Briten, die Ram und seinen Freunden in jungen Jahren imponierten und die ihren Familien den Aufstieg in die Oberschicht ermöglichten, waren offiziell zwar nur bis 1922 im Land. Ihr Einfluss blieb aber bis in die 1950er Jahre beträchtlich, nicht zuletzt in der Suez­krise von 1956. Damals hatte Ägypten den Suezkanal verstaatlicht, damit dieser fortan Geld in die eigenen Kassen spüle. In einer Koalition mit Frankreich und Israel versuchte Großbritannien, das per militärischer Invasion zu verhindern. Ram verbringt diese Zeit in den Londoner Pubs, schwingt dort aber große Reden gegen die Briten.

Auf die Straße geworfen

Gerade wegen der vielen inneren Brüche wächst einem dieser sprunghafte, launische Charakter ans Herz. Weil er die Rolle des schwarzen Schafs der Familie mit solch trockenem Humor durchzieht und es sich nicht einrichtet in seinem gemachten Oberschichtsnest. Etwa als sein Cousin bei einem Empfang erklärt, die Engländer müssten im Land bleiben und Ägypten vor der „roten Gefahr“ beschützen: „Politik hin oder her, das war zu viel. Was dann genau passierte, weiß ich nicht mehr; es kam zu Streit und zu Handgreiflichkeiten, und ich sagte, dass er sich mit seiner amerikanischen Demokratie ‚den Hintern abwischen‘ solle. Ich fand mich auf der Straße wieder. Eigenartigerweise bester Dinge.“

Ram macht es sich nicht leicht, weder mit den Frauen noch mit der Politik. Er durchschaut, was falsch läuft mit sich, dem auf Ausbeutung der Fellachen gegründetem Reichtum seiner Familie und seinem Land. Er ist aber zu schwach und träge, etwas daran zu ändern.

Rams Freund Font ist immerhin konsequent und zieht einen Gemüsekarren durch Kairo, statt sich dem System zu unterwerfen. Weil das niemand glaubt, fährt Ram mit seinem Kumpel Jameel in dessen Auto zu Font. „Jameel war schockiert, einen seiner alten Schulfreunde auf der Straße zu sehen. Und ich konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, Font so viel Geld anzubieten, dass dieser damit gleich den ganzen Rest seines Lebens hätte bestreiten können. Font hätte ­Jameel nur bespuckt und mir wahrscheinlich eine reingehauen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.