Jubiläumsshow am Wochenende: Kein gewöhnlicher Zirkus

Der Circus Sonnenstich macht seit 20 Jahren aus Menschen mit Down-Syndrom oder Lernschwierigkeiten Artist*innen. Zum Jubiläum gibt es zwei große Shows im Admiralspalast.

Bei den Proben zur Jubiläumsshow Foto: Stefanie Loos

Aua“, schreit Felix. Er wurde während der Aufwärmübungen von einem Arm im Gesicht getroffen. Michael Pigl-Andrees eilt zu ihm, hilft ihm aufzustehen und läuft mit ihm los. „Auslaufen, wir müssen den Schmerz auslaufen!“, ruft er. Die Gruppe lacht. Auch Felix muss schmunzeln. Mit dieser Reaktion hat er wohl nicht gerechnet.

Michael Pigl-Andrees gehört zum Leitungsteam des Circus Sonnenstich. Vor 20 Jahren hat der Sozialpädagoge den Circus gegründet, 2018 ist das große Jubiläumsjahr. Pigl-Andrees hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, regelmäßig Shows auf die Berliner Bühnen zu bringen. Unterstützt wird er dabei von vier Profiartist*Innen.

Kein Richtig, kein Falsch

Der Circus Sonnenstich gehört zum Zentrum für bewegte Kunst. Das ZBK ist ein künstlerisches Projekt, insgesamt sind drei Gruppen dort angesiedelt, die Circusgruppe für Kids, für Jugendliche und für Erwachsene. Zu den 50 Artist*Innen zählen Menschen mit Down-Syndrom und Lernschwierigkeiten. Ziel ist, sie und ihre Talente zu fördern, ihnen zu zeigen, dass sie zu allem fähig sind. „Menschen mit Down-Syndrom gelten meist als eingeschränkt, nicht ausreichend lernfähig“, sagt Pigl-Andrees. „Aber in dieser Gruppe sieht man, wie sie alle über sich hinauswachsen, weil es kein Richtig und kein Falsch gibt.“

Um es allen möglichst leicht zu machen, hat sich Pigl-Andrees über die Jahre viele spielerische Tricks überlegt, die den Artist*Innen dabei helfen, sich Bewegungsabläufe einzuprägen. Für verschiedene Turnbewegungen etwa werden symbolisch Tiere eingesetzt. „So, jetzt alle die Raupe!“ Danach ist der Tiger dran. Pigl-Andrees macht es noch einmal vor. Er begibt sich auf alle Viere, springt auf und ab, die Gruppe macht es ihm nach, die Bänke der Halle beben.

Das Zentrum für bewegte Kunst ZBK feiert sein Jubiläumsjahr 2018 mit der neuen Show Wabi-Sabi der Erwachsenengruppe des Circus Sonnenstich.

Die Aufführungen sind am 2. und 3. Juni im Admiralspalast in Berlin. Die Premiere am Samstag beginnt um 19 Uhr. Am Sonntag geht es bereits um 16 Uhr los. Die Tickets kosten zwischen 25 und 34 Euro. (ars)

Anlässlich des 20. Geburtstags treten die 14 erwachsenen Artist*innen des Circus Sonnenstich am 2. und 3. Juni im Admiralspalast auf. Für die große Jubiläumsshow proben sie bereits seit einem Jahr. Auch in der Woche vor der Premiere gibt es noch einigen Klärungsbedarf.

Die Gruppe positioniert sich, um die erste Szene zu proben. Roman, einer der vier Profiartisten, balanciert auf einer Laufkugel. Die Artist*innen stehen rechts, sie beobachten ihn. „Wenn Roman weg ist, schleicht ihr euch von der Seite an. Von dort!“ dirigiert Katharina Andrees. Die Theaterpädagogin und Schauspielerin führt seit acht Jahren Regie beim Circus. Sie sitzt mitten in der Sporthalle der Helene-Haeusler-Schule in Pankow, schaut konzentriert, ist nicht ansprechbar.

Michael Pigl-Andrees, Zirkusgründer

„Menschen mit Down-Syndrom gelten meist als eingeschränkt lernfähig. Aber in dieser Gruppe sieht man, wie sie alle über sich hinauswachsen“

Vor ihr liegt eine große Matte, auf der die Artist*Innen die Abläufe durchgehen. Links hängen die Turnerinnen in den Seilen und warten auf ihren Einsatz. „Wir haben nur eine Stunde Zeit, wir schauen einfach, wie weit wir heute kommen“, ruft Andrees. Wenn ihr etwas nicht gefällt, unterbricht sie und beginnt wieder vom Anfang.

Besondere Aufmerksamkeit

Vor der Probe hat Andrees jede*n Teilnehmer*in einzeln begrüßt – mal mit einer Umarmung, mal mit einem High-Five. Dieses gute Verhältnis musste sie sich lange erarbeiten, wird sie später erzählen. „Anfangs bin ich gnadenlos gescheitert. Bis ich verstanden habe, wie ich mit der Gruppe arbeiten muss.“ Die Artist*Innen benötigen besondere Aufmerksamkeit, sie kann ihre Ideen nicht immer genau so umsetzen, wie sie sich das vorstellt. „Wir arbeiten zusammen daran, es ist ein fließender Prozess“, berichtet Andrees. „Sarah zum Beispiel möchte eine große Artistin werden. Deshalb haben wir zu Beginn der Show eine Sequenz eingebaut, wo sie allein auf einer Laufkugel steht und balanciert.“

Auch während der Proben ist spürbar, dass eine ständige Interaktion zwischen den Artist*innen und ihren Trainer*innen besteht. Persönliches Vertrauen spielt für viele Menschen mit Down-Syndrom eine große Rolle.

Aufgeregt? Nein …!

Hagen Häsler ist bereits seit 20 Jahren Artist beim Circus Sonnenstich. Zusammen mit Pigl-Andrees hat er angefangen, mittlerweile ist er 34. „Ich finde es super hier“, erzählt er strahlend. „Ich freu' mich einfach, hier zu sein.“ Auf die Frage, ob er aufgeregt ist vor dem großen Auftritt am Wochenende, schüttelt Häsler energisch den Kopf. „Wir haben das zu oft geprobt!“

Pigl-Andrees geht nach der Probe zu den Teilnehmern, um sich zu vergewissern, dass am Samstag alle pünktlich erscheinen. „Das Ganze ist selbst nach 20 Jahren eine Wahnsinnsgeschichte“, sagt Pigl-Andrees. „Also ich bin total aufgeregt.“ Felix stellt sich zu ihm, er möchte sich verabschieden. Pigl-Andrees umarmt ihn und sagt: „Bis Samstag!“

Dann läuft Felix los, diesmal alleine. Aber immer noch schmunzelnd.

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