Regierungskrise in Armenien: Kämpferin im Rollstuhl

Bei den Protesten gegen den ehemaligen Regierungschef Sargsjan war die Aktivistin Zara Batojan täglich mit dabei. Jetzt will sie in die große Politik.

Die Rollstuhlfahrerin Zara Batojan bei einer Kundgebung in Jerewan

Zara Batojan bei einer Demonstration gegen die Regierung in Jerewan Foto: privat

BERLIN taz | Zara Batojan ist ganz in weiß gekleidet und hat sich zum Platz der Republik in der armenischen Hauptstadt Jerewan begeben. An diesem Montag stehen wieder Tausende hier – alle sind in weiß gekleidet, um die Wahl von Nikol Paschinian zum Premierminister zu bejubeln. Auch Batojan freut sich. „Es gibt zu ihm keine Alternative“, sagt sie.

Die 38-jährige Aktivistin sitzt seit ihrer Geburt im Rollstuhl. Sie gehört zum Team von Nikol Paschinian, dem Oppositionsführer der „samtenen Revolution“. „Paschinian hat die Menschen politisch sensibilisiert“, sagt Batojan. „Einen Monat lang haben er und sein Team den BürgerInnen und Bürgern beigebracht, dass sie die Verantwortung für ihr eigenes Leben tragen und nur sie etwas zum Guten verändern können.“

Batojan studierte Journalistik an der Staatlichen Universität Jerewan und berichtete parallel dazu über die Probleme von Menschen mit begrenzten Möglichkeiten. Sie sieht sich als Vorbild für andere Vertreter dieser Minderheit. Doch nicht jeder hat so viel Mut wie sie. Deswegen begann sie politisch und gesellschaftlich aktiv zu werden, um die Interessen dieser Menschen zu vertreten.

Leadership heißt für sie das Zauberwort. Nach einer Weiterbildung an der Jerewaner „School of Young Leaders“, absolvierte sie im US-Bundesstaat Oregon das Institut für Leadership für Frauen mit Behinderungen.

Fragen der Inklusion

Seit ihrer Rückkehr 2012 nach Armenien berät sie lokale Menschenrechtsorganisationen sowie Hochschulen in Fragen der Inklusion, das heisst, wie Menschen mit Behinderungen in Armenien am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. 2014 gründete sie die Nichtregierungsorganisation „Disability Info“. Auf einer weiteren Plattform mit dem Namen ikin.am (deutsch: „Ich bin eine Frau“) lässt sie armenische Frauen mit Behinderungen ihre Geschichten erzählen.

Batojan will jedoch mehr – nämlich in die Politik gehen. Ihre Organisation hat bereits 61.000 Menschen mit Behinderung in der Hauptstadt Jerewan registriert. Diese, so Batojan, seien aber kaum sichtbar. Weil die Umgebung nicht barrierefrei sei, müssten diese Menschen oft zu Hause bleiben. Sie hätten keinen Zugang zu Bildungs-, Kultur-, Gesundheits- und anderen Institutionen und könnten sich nicht frei sich in der Stadt bewegen.

Ihr härtester Gegner ist Taron Margarjan, der regierende Bürgermeister von Jerewan, Mitglied der Republikanischen Partei und eng mit dem vor kurzem zurückgetretenen Premierminister Serge Sargsjan verbandelt.

Nun muss Taron Margajan damit umgehen, dass er seine Kritikerin häufiger sehen muss. Seit den Wahlen 2017 sitzt Zara Batoyan im Ältestenrat des Rathauses. Sie vertritt die oppositionelle Fraktion Jelk (Ausweg) und ist Mitglied der Partei „Zivilvertrag“ von Nikol Paschinian.

Permanente Lügen

Mit ihrem Rollstuhl stand sie auch auf der Bühne neben Paschinian auf dem Jerewaner Republikplatz. „Wir wollen Gerechtigkeit“, rief sie in den Lautsprecher und tausende applaudierten. „Die Regierung lügt permanent. Sie behauptet, dass die Menschen mit Behinderung versorgt seien. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie spart auf Kosten der Behinderten“, sagte sie an einem der vergangenen Protesttage in Jerewan.

Einen Kommentar des neuen Regierungschefs Paschinian zu den jüngsten Ereignissen hat sie sich zu eigen gemacht und wiederholt ihn immer wieder gerne „Das ist eine Revolution der Liebe und Solidarität.“

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