Oberbürgermeisterwahl in Freiburg: Erfolgreich, weil widersprüchlich

Der 33-jährige Martin Horn ist neuer Oberbürgermeister von Freiburg. Sein Erfolgsrezept reichte zum Sieg, fürs Regieren braucht er aber mehr.

Der junge frisch gewählte Bürgermeister von Freiburg, Martin Horn, wird von jubelnden Fans begrüßt

Bürgerlich-arriviert und zugleich jung und progressiv: Der designierte OB Martin Horn (parteilos) Foto: dpa

Noch am Wahlabend geht Martin Horn zu Boden. Ein offenbar psychisch Kranker 54 Jahre alter Mann schlägt dem frisch gebackenen Wahlsieger ins Gesicht.

Aber Horn wäre nicht Horn, wenn er sich nicht noch am späten Abend mit blauem Auge gebrochener Nase und Pflaster im Gesicht via sozialer Medien zurück meldet: „Heute ist Weltlachtag“, sagt Horn, angesichts des Wahlsiegs seien seine Blessuren „pillepalle“, nachher käme er wieder auf die Wahlparty.

Es ist vor allem diese offene, persönliche und jugendliche Handschrift, die den 33-jährigen Europa-Koordinator der schwäbischen Stadt Sindelfingen letztlich zum Freiburger Oberbürgermeister gemacht hat. Zuhören, Präsenz zeigen, vor Ort und im Netz, politische Forderungen nicht gleich in machbar und nicht machbar einteilen.

Damit hat der 33-jährige Pfarrerssohn aus dem pfälzischen Annweiler vielleicht eher die Herzen als die Köpfe der Wähler erreicht, aber auf jeden Fall den maximalen Kontrast zum Amtsinhaber Dieter Salomon geboten. Offenbar hat er vor allem viele Junge und auch gar nicht so wenige bisherige Nichtwähler überzeugt ihn zu wählen.

Die Kretschmann-Grünen auf die Spitze getrieben

Horns vages politisches Programm, das hat der Amtsinhaber Salomon im Wahlkampf lange nicht erkannt, war dabei eine Stärke keine Schwäche. Von der SPD unterstützt zu werden, ohne selbst Mitglied zu sein, Politik zu machen ohne bisher Politiker gewesen zu sein. So hat er Unterstützern quer zu den politischen Linien gewonnen, von sehr bürgerlich bis links.

Es scheint als hätten er die Kretschmann-Grünen in Baden-Württemberg zu denen auch Dieter Salomon gehört, auf die Spitze getrieben. Auch Kretschmanns Erfolg erklärt sich ja zu einem guten Teil mit einem demonstrativen Abstand zu politischen Lagern.

Dass sich Horn als gebürtiger Pfälzer Freiburg erst erarbeiten musste, dass er selbst keine politische und nur wenig Verwaltungserfahrung hat, auch das haben seine Wähler wohl eher für ein Versprechen, nicht für eine Schwäche gehalten. Der Wind stand auf Wechsel, man kann sich im prosperierenden Freiburg offenbar auch ein Experiment leisten.

Der Wahlkampf ist jetzt vorbei und Horn muss ab 1. Juli im Rathaus liefern. Vorsorglich erklärte er gleich am Wahlabend, er habe auch keine 1.000 bezahlbaren Wohnungen in der Tasche. Stattdessen kündigte er weiter Bürgersprechstunden in allen Stadtvierteln an.

Gehört werden heißt nicht erhöhrt werden

Eher den Moderator als Stadtoberhaupt zu geben, das mag zwar auf den ersten Blick eine zeitgemäße und basisdemokratische Art sein zu führen. Aber reichen wird das nicht, um in einer Stadt, die bürgerlich und jung, ökologisch und sozial, kulturell arriviert und progressiv und all das gleichzeitig sein will, sinnvolle Politik zu machen.

Die „Politik des Gehörtwerdens“, bedeute nicht, dass jeder erhört werde, hat der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann einmal gesagt. Um diese Erkenntnis wird auch der neue junge, unverbrauchte Oberbürgermeister in Freiburg, der jetzt die Grünen das fürchten gelehrt hat, nicht herum kommen.

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