Zu enge Einzelkäfige für Schweine: Lasst die Sau raus!

Viele Tiere werden monatelang auf kleinstem Raum eingesperrt. Die zuständigen Landkreise schauen über diesen Rechtsbruch einfach hinweg.

Ferkel drängen sich im Stall.

Schweinezucht in Deutschland: Viele Nutztiere leiden unter schlechten Haltungsbedingungen Foto: reuters

BERLIN taz | Die Landkreise mit den meisten Schweinezüchtern setzen einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts für mehr Tierschutz auch nach eineinhalb Jahren nicht um. Deshalb werden die 1,9 Millionen Sauen in Deutschland überwiegend monatelang in Einzelkäfigen gehalten, die so klein sind, dass die Tiere nicht jederzeit die Beine ausstrecken können. Das zeigen Antworten der zehn Landkreise mit den meisten Plätzen in Schweinezuchtbetrieben auf Anfragen der taz.

Die „Kastenstand“ genannten Metallgestelle sind ungefähr so groß wie das Schwein. Es kann sich nicht umdrehen und sich nur langsam hinlegen. Im „Abferkelstall“ hat dies den Vorteil, dass die Jungtiere nicht so leicht erdrückt werden. Im „Deckzentrum“ – in dem Stall, in dem die Sauen besamt werden – erleichtert der Kastenstand dem Personal den Überblick. In beiden Ställen spart der Kastenstand Platz, denn außerhalb des Käfigs ist mehr Bewegungsfreiheit vorgeschrieben.

Tierschützer kritisieren jedoch, dass die Kastenstände oft Geschwüre im Schulter- und Hüftbereich verursachten. Es sei Tierquälerei, die Sauen ohne Kontakt zu Artgenossen und ohne Möglichkeiten zu halten, herumzulaufen, ihren Erkundungstrieb auszuleben oder sich zu suhlen. Wenn Sauen genug Platz hätten, würden ohne Kastenstand auch nicht wesentlich mehr Ferkel erdrückt werden.

Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erlaubt Kastenstände zwar für einen begrenzten Zeitraum. Aber sie und ihre Vorgängerverordnung von 1988 schreibt vor, dass „jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann“.

Eine Durchschnittssau braucht 82 Zentimeter, um sich hinzulegen

Doch diese Vorschrift wird mit Billigung der Behörden seit Jahrzehnten missachtet. Die Ausführungshinweise des Landes Niedersachsen etwa verlangen eine Breite des Kastenstands von nur 70 Zentimetern. Nach Berechnungen des bundeseigenen Friedrich-Löffler-Instituts für Tiergesundheit aber braucht die Durchschnittssau, die 250 Kilogramm wiegt, 82 Zentimeter, um sich ungehindert hinzulegen und aufzustehen. Ist der Kastenstand schmaler, kann die Sau die Beine nur ausstrecken, indem sie sie in den Käfig neben sich steckt. Das geht aber häufig nicht, zum Beispiel, wenn das Tier nebenan ebenfalls gerade liegt.

Nur wenige Veterinärbehörden haben solche Rechtsbrüche verhindert. Die Kreisverwaltung Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ging gegen den niederländischen Agrarindustriellen Adrianus Straathof unter anderem wegen zu enger Kastenstände vor. Er wehrte sich vor Gericht – und unterlag im November 2015 vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg. Ein Jahr später wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Firma ab und erklärte das Urteil für rechtskräftig. Die Richter stellten fest: Wenn in der Verordnung steht, dass die Schweine sich ungehindert ausstrecken können müssen, dann gilt das – jederzeit. Das sei „nicht weiter klärungsbedürftig“, weil die Vorschrift eindeutig sei.

Aber selbst eineinhalb Jahre nach dieser höchstrichterlichen Ohrfeige halten Landwirte die meisten Sauen immer noch in zu engen Kastenständen. Und die wichtigsten Veterinärbehörden bleiben untätig. Diese zehn Kreise sind dafür zuständig, das Tierwohl von etwa 32 Prozent der Sauen in Deutschland zu überwachen. Die meisten werden im Landkreis Emsland gehalten. Doch statt nach den Gerichtsentscheidungen durchzugreifen, hat die Behörde „die Kontrollen der Sauenhalter in 2017 im Landkreis Emsland zurückgefahren“, teilte sie der taz mit. „Infolge einer unklaren Rechtslage war eine gezielte Kontrolle der Kastenstände nicht im Focus der Überprüfungen“, so das Amt weiter. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht ja gerade die Rechtslage klargestellt.

Das Veterinäramt begründet ihre Untätigkeit so: „Eine sofortige Umsetzung des Magdeburger Urteils wäre für viele Betriebe existenzbedrohend. Aus einem Alleingang des Landkreises Emsland würden massive Wettbewerbsverzerrungen resultieren.“ Deshalb werde der Kreis wie „alle anderen Kommunen in Niedersachsen mit der Umsetzung des ‚Magdeburger Urteils‘ beginnen, sobald durch das Land oder den Bund Rechtssicherheit geschaffen wurde“.

15 Jahre sind zu lang

Es wird also weiter das Recht gebrochen – und zwar massenhaft: Es sei davon auszugehen, so der Landkreis, „dass 70 bis 80 Prozent der emsländischen ferkelerzeugenden Betriebe die Anforderungen des ‚Magdeburger Urteils‘, zumindest in Teilbereichen, nicht erfüllen“. Auch die Kreise Steinfurt, Borken und Cloppenburg etwa teilten der taz mit, dass sie vorerst keine Umbauten nach den Vorgaben des Urteils durchsetzen würden. Alle wollen warten, bis der Bund die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geändert hat.

Die Agrarminister von Bund und Ländern wollen auf ihrer Konferenz von Mittwoch bis Freitag in Münster über einen Entwurf der Reform diskutieren. Laut dem in diesen Dingen gewöhnlich gut informierten Fachblatt Top Agrar sollen in Deckzentren, die künftig gebaut werden, die Sauen nur noch acht Tage fixiert werden dürfen. Die Kastenstände müssen je nach Größe der Sau 60 bis 90 Zentimeter breit sein. In neuen Abferkelställen dürfen die Tiere maximal fünf Tage im Kastenstand gehalten werden. Die alten – also derzeit illegalen – Kastenstände aber sollen noch lange weiter benutzt werden dürfen: 12 bis 17 Jahre. Der Bauernverband fordert diese lange Frist mit dem Argument, dass wegen der Umbaukosten sonst zu viele Sauenhalter aufgeben müssten. Allein in den letzten zehn Jahren ist etwa in Niedersachsen laut dem Agrarministerium in Hannover die Zahl der Betriebe um 60 Prozent und die Zahl der Zuchtsauen um knapp 25 Prozent gesunken.

Auch der Deutsche Tierschutzbund ist bereit, über Übergangsfristen zu reden. Aber 15 Jahre zum Beispiel seien zu lang, sagte Präsident Thomas Schröder der taz. „Im Grundsatz muss in allen Vereinbarungen stehen: Der Kastenstand hat keine Zukunft in der Schweinehaltung. Dieser Kompromiss will den Kastenstand retten“, kritisierte der Tierschützer.

Tierrechtler wie die Organisation Animal Rights Watch dagegen fordern gleich das Ende der gesamten Tierhaltung. „Denn ob mit oder ohne Kastenstand, die Schweinezucht und mit ihr die gesamte Tierindustrie verursacht stets unermessliches Leid“, so der Verband. Stattdessen sollten pflanzliche Lebensmittel und der bio-vegane Landbau gefördert werden.

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