Neues Netzwerk gegen Rüstungshandel: Die Täter beim Namen nennen

Ein Archiv für Rüstungsdeals geht online: Zuerst steht die Verantwortung deutscher Waffenhersteller beim Genozid an den Armeniern im Vordergrund.

Menschen sitzen auf dem Boden

Armenische Flüchtlinge, 1915 Foto: Library of Congress/dpa

STUTTGART taz | Für Rüstungsgegner ist es eine Weltpremiere. Es gibt weltweit viele Einzelinitiativen gegen Waffen und Waffenhandel. Bisher gab es aber keinen Ort, an dem sie ihre Erkenntnisse bündeln konnten. Diese Lücke will das Team um den erfahrenen Anti-Waffen-Aktivisten Jürgen Grässlin aus Freiburg schließen. Die Webseite www.gn-stat.org, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, ist eine Art Wikileaks für die legalen und illegalen Rüstungsdeals. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zu Julian Assanges umstrittener Plattform. Die Informationen bei „Global-Net“ werden geprüft und kuratiert, sodass sorgfältig recherchierte Dossiers mit verlässlichen Informationen für jeden frei zur Verfügung stehen.

„Es geht darum, den Tätern von brisanten Rüstungsexporten ein Gesicht und einen Namen zu geben“, sagt Jürgen Grässlin. „Wir klagen an: Topmanager, Militärs und verantwortliche Politiker*innen.“ Dazu gehören bekannte deutsche Waffenhersteller wie Heckler und Koch oder Rheinmetall, deren leitende Mitarbeiter aber auch verantwortliche Politiker. Auf der Webseite sollen sie mit biografischen Daten und ihrer persönlichen Verantwortung für Waffenhandel dargestellt werden. So soll Stück für Stück ein frei zugängliches Archiv des internationalen Waffenhandels entstehen. Die Dossiers sind faktengecheckt und erscheinen in verschiedenen Sprachen. Bei der Recherche arbeitet das Freiburger Rüstungsbüro mit Experten aus aller Welt zusammen, so etwa dem südafrikanischen Aktivisten Andrew Feinstein. Grässlin hofft so neue Zusammenhänge des internationalen Waffengeschäfts – das ja wesentlich von Diskretion lebt -herstellen zu können.

Als ersten Fall, der im „Global Net“ veröffentlicht wird, hat sich Grässlins Team die historische Verantwortung Deutscher Waffenhersteller beim türkischen Völkermord an den Armeniern zwischen 1895 und 1916 vorgenommen. In einer detaillierten Studie, die der ehemalige Fernsehjournalist Wolfgang Landgraeber ausgearbeitet hat, wird belegt, dass die Ermordung von Hunderttausenden von Armeniern nicht nur von der Politik des Kaiserreichs gebilligt wurde, sondern dass Waffenschmieden wie Mauser daran Millionen verdient haben. Bereits 1896 seien 48,5 Prozent der Gewehre in den Magazinen der türkischen Armee von der Firma Mauser geliefert worden.

Historische Verträge
Ein Mann spricht in ein Mikrofon

Weitere Dokumentationen sind laut Jürgen Grässlin schon in Vorbereitung (Archivbild) Foto: dpa

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs seien mindestens zwei Drittel der Gewehre vom Deutschen Hersteller gekommen. Auch die Firma Krupp habe bis 1912 mit Kanonen Mörsern und Munition nach heutiger Kaufkraft zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro Gewinn gemacht, rechnet Landgraeber vor. Ausgangspunkt für die Recherche waren die historischen Verträge, die Grässlin und sein Team im Städtischen Waffenmuseum in Oberndorf entdeckt haben. Dort hatte Mauser seinen Sitz und hier befindet sich auch heute das Stammwerk von Heckler und Koch.

Für den Freiburger Realschullehrer Grässlin, der seit mehr als 30 Jahren als einer der profiliertesten Rüstungskritiker gilt, geht es bei der Studie zum Pogrom an den Armeniern nicht allein um die historische Aufarbeitung. Er will die langen Linien der deutschen Rüstungsexportpolitik bis heute nachzeichnen. Dafür ist die Türkei ein gutes Beispiel. Mauser ist im Rüstungshersteller Rheinmetall aufgegangen und trotz vieler politischer Veränderungen sei die Türkei als zweifelhafter Verbündeter für den deutschen Panzerhersteller immer noch ein treuer Kunde. „100 Jahre später sind es erneut deutsche Kriegswaffen, wie der Leopard-2-Panzer, mit denen die türkische Armee Menschen tötet“ heißt es in der Erklärung des „Global Net“. In diesem Fall in in einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden in Afrin.

Weitere Dokumentationen sind laut Grässlin schon in Vorbereitung. Der nächste Fall soll nicht von deutschen Waffen handeln. Es sei ein ganz aktueller Fall mit hoch modernen Kriegswaffen. Der sei aber bis zur Veröffentlichung im Herbst noch vertraulich, so Grässlin.

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